„Demokratie ist kein Zustand – sie ist ein Prozess, der ständig erneuert werden muss“
Die Schweiz führt 2025 den Vorsitz von International IDEA – dem International Institute for Democracy and Electoral Assistance. Die intergouvernementale Organisation mit 35 Mitgliedstaaten setzt sich seit 30 Jahren für die Stärkung demokratischer Systeme ein. Dieses Engagement ist heute wichtiger denn je, sind Adrian Junker, Schweizer Botschafter in Stockholm und aktueller Vorsitzender von International IDEA, und Patricia Danzi, die Direktorin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), überzeugt.

Adrian Junker, Schweizer Botschafter in Stockholm und 2025 Vorsitzender der Organisation International IDEA, spricht mit der Direktorin der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, Patricia Danzi. Sie leitet am 12. Juni 2025 die Sitzung des Rats der IDEA-Mitgliedstaaten. © EDA
Die Organisation International IDEA setzt sich seit drei Jahrzehnten für die Förderung der Demokratie ein. Ihr Jubiläum fällt in eine Zeit, in der demokratische Systeme weltweit unter Druck stehen. Was bedeutet das für den Schweizer Ratsvorsitz in diesem Jahr?
Adrian Junker (AJ): Der Vorsitz fällt in eine Zeit wachsender Unsicherheit. Demokratien sehen sich mit Polarisierung, Desinformation und Vertrauensverlust konfrontiert. Für die Schweiz bedeutet das eine besonders verantwortungsvolle Rolle. Wir wollen den Austausch zwischen Demokratien fördern, die Arbeit von International IDEA stärken und dazu beitragen, dass demokratische Systeme widerstandsfähiger werden.
Welche Ziele verfolgt die Schweiz als IDEA-Ratsvorsitzende?
AJ: Wir haben drei Prioritäten: Erstens wollen wir die Umsetzung des Mandats von IDEA durch einen aktiven, inklusiven Vorsitz voranbringen. Zweitens nutzen wir das 30-Jahre-Jubiläum, um die Sichtbarkeit und Wirkung der Organisation zu stärken. Und drittens setzen wir uns für ihre finanzielle Stabilität ein – insbesondere durch mehr Kernbeiträge der Mitgliedstaaten. Inhaltlich rücken wir das Zusammenspiel von Demokratie, Inklusion und Wohlstand in den Fokus – als Schlüssel für nachhaltige Entwicklung.
Am 12. Juni findet in Stockholm eine ausserordentliche Ratssitzung der 35 Mitgliedsstaaten statt. Was sind die zentralen Botschaften der Schweiz?
AJ: Demokratien müssen lern- und erneuerungsfähig bleiben. Gerade in Zeiten geopolitischer Spannungen braucht es gezielte Investitionen in demokratische Institutionen, politische Bildung und den offenen Dialog. Demokratie ist kein Zustand, sondern ein fortlaufender Prozess, der Engagement, den Mut zur Veränderung und internationale Zusammenarbeit erfordert. Vor der IDEA-Ratssitzung findet zudem die Stockholm Conference on Electoral Integrity statt, an der die Schweiz neben der DEZA durch die Bundeskanzlei vertreten wird. Dies unterstreicht den Whole-of-Government-Ansatz der Schweiz, bei dem verschiedene Stellen der Bundesverwaltung – darunter die Bundeskanzlei, die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), die Abteilung Frieden und Menschenrechte (AFM) des EDA, und die Schweizer Botschaft in Stockholm– eng zusammenarbeiten.
Patricia Danzi, Sie haben den Vorsitz an der hochrangigen ausserordentlichen Ratssitzung von International IDEA in Stockholm. Welche Rolle spielt Demokratieförderung in der internationalen Zusammenarbeit?
Patricia Danzi (PD): Demokratie ist kein «Nice-to-Have» – sie ist eine grundlegende Voraussetzung für Frieden, nachhaltige Entwicklung und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die Erfahrung aus vielen Partnerländern zeigt: Dort, wo demokratische Institutionen gut funktionieren, entstehen langfristige Perspektiven und Stabilität.
Können Sie konkrete Beispiele nennen, wie die Schweiz Demokratie im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit stärkt?
PD: In Osteuropa unterstützt die Schweiz einen regionalen Dialog, um die Justiz zu stärken – insbesondere ihre Fähigkeit, Entscheidungen verständlich zu kommunizieren – und damit die «Checks and Balances» zu fördern. In Nordmazedonien stärkt die DEZA das Parlament, fördert den partei-übergreifenden Dialog und die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. In Kambodscha schaffen wir mit Medienprojekten neue Beteiligungsmöglichkeiten für Jugendliche. In Benin unterstützen wir Gemeinden darin, dass ihre Bürger selbst über ihre lokalen Prioritäten entscheiden. Und in der Ukraine fördert die DEZA die digitale Beteiligung in demokratischen Prozessen und eine transparente Verwaltung in oft abgelegenen Gemeinden. Diese Beispiele zeigen: Demokratieförderung ist dann erfolgreich, wenn sie konkret ansetzt und den Menschen vor Ort zugutekommt.
Demokratieförderung ist auch Teil der Aussenpolitischen Strategie 2024–27. Das EDA hat dazu kürzlich eigene Leitlinien veröffentlicht. Wo liegt die besondere Expertise der Schweiz?
AJ: Unsere Stärke liegt in der Praxis. Die Schweizer Demokratie ist föderal, partizipativ, rechtsstaatlich und schützt Minderheiten. Diese Erfahrungen prägen unsere internationale Arbeit. Wir setzen auf langfristige Prozesse, Dialog, institutionellen Aufbau – und auf unabhängige Medien und eine aktive Zivilgesellschaft. Mit den neuen Leitlinien schärfen wir unser Profil und bündeln unsere Kräfte.
In den Leitlinien heisst es, Demokratieförderung müsse angesichts geopolitischer Veränderungen bestehende Demokratien widerstandsfähiger machen. Bedeutet das eine Neuausrichtung – auch bei International IDEA?
PD: Ja, das Verständnis hat sich erweitert. Früher lag der Fokus auch bei International IDEA auf Übergangsprozessen. Heute geht es mehr denn je um den Schutz und die Stärkung bestehender Demokratien – besonders dort, unter Druck geraten. Das erfordert: mehr politische Einbindung, Priorisierung und Partnerschaften auf Augenhöhe –mit allen. Selbstreflexion und Selbstkritik gehört auch dazu. Demokratie muss kontinuierlich erneuert werden, auch in etablierten Systemen. Sie ist nie eine Selbstverständlichkeit.
Was steht auf dem Spiel, wenn Demokratien ihre Resilienz verlieren?
PD: Dann drohen eine Ausweitung exekutiver Macht, der Abbau rechtsstaatlicher Prinzipien, zunehmende Polarisierung und Gewalt – kurz: ein Angriff auf gesellschaftliche Stabilität. Wenn Demokratien ihre Reformfähigkeit einbüssen oder den Kontakt zur Bevölkerung verlieren, kann ein Vakuum entstehen. Deshalb müssen wir vermehrt in die Substanz demokratischer Systeme investieren – lokal, regional und global.
Vom Lokalen zum Globalen und zurück: Die Schweiz pflegt mit International IDEA den Lift-Ansatz
Das International Institute for Democracy and Electoral Assistance (International IDEA) ist eine zwischenstaatliche Organisation mit dem Ziel, weltweit nachhaltigen demokratischen Wandel zu unterstützen. Der Organisation mit Sitz in Stockholm gehören 35 Staaten als Vollmitglieder an, zwei weitere Staaten als Beobachter.
Die Schweiz ist seit 2006 Mitglied von International IDEA. Für 2023–2026 stellt die DEZA einen Beitrag von 3,5 Mio. CHF bereit. Der Schweiz ist es ein wichtiges Anliegen, International IDEA mit solchen flexiblen Mitteln zu unterstützen, damit die Organisation ihr Mandat wirkungsvoll und unabhängig erfüllen kann.
Die DEZA pflegt einen engen institutionellen Dialog mit IDEA – in Abstimmung mit der AFM, der Bundeskanzlei sowie zahlreichen Schweizer Botschaften und Missionen weltweit. Diese enge interne und externe Koordination ermöglicht es der Schweiz, den sogenannten Lift-Ansatz im Dialog mit International IDEA umzusetzen: Praktische Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit IDEA, insbesondere in Programmländern, sowie Erkenntnisse aus dem lokalen Kontext fliessen in den strategischen Dialog auf internationaler Ebene ein. Umgekehrt trägt die Schweiz dazu bei, gemeinsam mit IDEA entwickelte Normen und gute Praktiken in ihrer bilateralen Zusammenarbeit vor Ort zur Anwendung zu bringen.
Unter dem Leitthema „Das Zusammenspiel von Demokratie, Inklusion und Wohlstand“ unterstützt die Schweiz als aktuelle Vorsitzende des IDEA-Rats eine Vielzahl von Veranstaltungen und Initiativen, um die Sichtbarkeit, Wirkung und Partnerschaften von International IDEA gezielt zu stärken – in einer Zeit, in der demokratische Werte weltweit unter zunehmendem Druck stehen.