«Der Weg zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe führt über die Reduktion der Hinrichtungen»
Die Schweiz lehnt die Todesstrafe kategorisch und unter allen Umständen ab. Sie setzt sich für eine Welt ohne Todesstrafe ein. Zu diesem Zweck lanciert das EDA den neuen Aktionsplan 2024–2027 zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe. Für seine Umsetzung ist die Abteilung Frieden und Menschenrechte (AFM) zuständig. Staatssekretär Alexandre Fasel stellt den Aktionsplan vor und gibt einen Überblick über die aktuelle Situation im Bereich der Todesstrafe sowie die Instrumente des EDA für deren weltweite Abschaffung.
Staatssekretär Alexandre Fasel gibt einen Überblick über die aktuelle Situation im Bereich der Todesstrafe. © Keystone
Die weltweite Abschaffung der Todesstrafe ist seit über vierzig Jahren ein Schwerpunkt der Schweizer Aussenpolitik. Warum diese Beharrlichkeit?
Diese Beharrlichkeit zeigt einerseits, dass die Schweiz eine klare Position hat, die fest in ihrer Rechtsordnung verankert ist: Die Todesstrafe verstösst gegen das Grundrecht auf Leben und die Menschenwürde. Damit ist sie nicht vereinbar mit den Menschenrechten. Diese Position macht die Schweiz glaubwürdig und berechenbar, so dass sie das Thema mit allen Staaten, die die Todesstrafe noch nicht abgeschafft haben, konstruktiv angehen kann. Andererseits zeigt diese Beharrlichkeit auch, dass es noch viel zu tun gibt, selbst wenn bei der weltweiten Abschaffung der Todesstrafe erhebliche Fortschritte erzielt wurden. Deshalb braucht es auch einen neuen Aktionsplan.
Woraus besteht der Aktionsplan?
Der Aktionsplan beruht auf einer einfachen Feststellung: Die Zahl der Länder, die die Todesstrafe abgeschafft haben, ist innerhalb von dreissig Jahren von 55 auf 113 gestiegen, aber die Zahl der Hinrichtungen geht seit einigen Jahren nicht mehr zurück. Dies bedeutet, dass eine immer kleinere Minderheit von Staaten die Todesstrafe nach wie vor häufig anwendet. Das EDA unterstützt die globalen Bestrebungen zur weltweiten Abschaffung weiterhin, möchte sich aber im Rahmen des Aktionsplans auf diplomatischem Wege stärker für die Frage einsetzen, wie die Todesstrafe weltweit eingeschränkt werden kann.
Wie will das EDA erreichen, dass weniger Hinrichtungen vollstreckt werden?
Durch ihre Anstrengungen auf multilateraler und bilateraler Ebene. Zusammen mit einer Staatengruppe bringt die Schweiz im UNO-Menschenrechtsrat alle zwei Jahre eine Resolution ein, die auf die Erarbeitung internationaler Standards abzielt, mit denen Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Anwendung der Todesstrafe angegangen und verhindert werden können. Ziel ist es, den Anwendungsbereich der Todesstrafe weltweit schrittweise einzuschränken.
Es gilt zu beachten, dass das Völkerrecht die Anwendung der Todesstrafe nicht formell verbietet, sondern lediglich auf «schwerste Verbrechen» beschränkt. Dabei handelt es sich gemäss Auslegung des Menschenrechtsausschusses um Verbrechen, die eine vorsätzliche Tötung beinhalten. Die Schweiz will sich verstärkt für die Einhaltung des Völkerrechts in diesem Bereich einsetzen und ihre bilateralen Anstrengungen weiterführen, um die entsprechenden Staaten zur Umsetzung der Bestimmungen zur Einschränkung der Todesstrafe zu ermutigen.
Welche Argumente bringt die Schweiz bei diesen Staaten vor?
Heute entfallen rund 40 Prozent der weltweit vollstreckten Hinrichtungen auf Drogendelikte. Ohne das Problem des Drogenhandels und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft kleinzureden, ist die Schweiz der festen Überzeugung, dass die Anwendung der Todesstrafe für solche Straftaten nicht nur gegen das Völkerrecht verstösst, sondern auch die verstärkte internationale Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Drogenhandels behindert.
Übrigens gibt es bis heute keinen wissenschaftlichen Beweis, dass die Todesstrafe eine grössere abschreckende Wirkung auf potenzielle Straftäterinnen und Straftäter hat als andere schwere Strafen. Solche Argumente bringen wir im bilateralen Dialog mit betroffenen Staaten vor, um sie davon zu überzeugen, die Anwendung der Todesstrafe einzuschränken. Wir sehen dies als ersten Schritt auf dem Weg zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe.
Was ist besonders wichtig beim internationalen Engagement zur Abschaffung der Todesstrafe?
«Alleine geht man schnell, zusammen geht man weit.» Dieses afrikanische Sprichwort charakterisiert die internationalen Anstrengungen zur Abschaffung der Todesstrafe sehr gut. Die bisherigen bedeutenden Fortschritte waren nämlich nur möglich dank des gemeinsamen Engagements der Staaten, die die Todesstrafe bereits abgeschafft haben, sowie aller NGO und Akteure, die sich für eine weltweite Abschaffung einsetzen. Aus diesem Grund gehört der Ausbau der internationalen Zusammenarbeit zu den drei Aktionsfeldern des Aktionsplans.
Unterstützung von Organisationen, die sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzen: das Beispiel der Gemeinschaft Sant’Egidio
Im Rahmen ihres Engagements für eine Welt ohne Todesstrafe unterstützt das EDA über die AFM verschiedene Projekte von Organisationen, die sich für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzen. Ein Beispiel dafür ist die Gemeinschaft Sant’Egidio, die regelmässig den Kongress der Justizministerinnen und Justizminister zur Todesstrafe in Rom organisiert. An dieser Konferenz, die einen öffentlichen und einen nichtöffentlichen Teil umfasst, können sich politische Entscheidungsträger aus Staaten mit und ohne Todesstrafe frei zum Thema äussern und sich unter der Leitung von Expertinnen und Experten über ihre Erfahrungen austauschen. Dies ist eine einzigartige Gelegenheit, um weitere Fortschritte auf dem Weg zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe zu erzielen. Der nächste Kongress findet am 28. und 29. November 2024 in Rom statt.