Die Rückkehr auf die Felder ermöglichen: eine Herausforderung beim Wiederaufbau der Ukraine
Die Bedrohung durch Minen und Blindgänger zwingt kleinbäuerliche Betriebe, ihre Produktion zu reduzieren oder ganz einzustellen, was massive Auswirkungen auf die Qualität, die Vielfalt und die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln hat. Die Ernährungssicherheit der lokalen Gemeinschaften ist zunehmend gefährdet und die Abhängigkeit von humanitärer Hilfe nimmt zu. Einige Betroffene nehmen die Arbeit auf den Feldern wieder auf und riskieren dabei ihr Leben. Die Schweiz führt ihr Engagement zusammen mit ihren Partnern fort, um den Menschen eine rasche und sichere Rückkehr auf ihre Felder zu ermöglichen.
Ein Bauer wartet darauf, sein durch den Krieg verseuchtes Land wieder bewirtschaften zu können. © WFP/FAO
Andrii Shekera und Serhii Yakovenko haben persönlich erlebt, was die Kontaminierung der landwirtschaftlichen Flächen in der Ukraine bedeutet. Andrii ist Direktor eines öffentlich finanzierten Betriebs mit Hauptsitz im Rajon Desna in der Nähe von Kiew. Serhii ist Generaldirektor von KVUS-Agro, einem 200 Hektar grossen Privatbetrieb in der Oblast Tschernihiw (im Norden des Landes). Seit Beginn des Krieges in der Ukraine am 24. Februar 2022 haben beide Männer mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen.
Beide sind in mehreren Ortschaften rund um die Stadt Tschernihiw tätig. Während der aktiven Konfliktphase in der Region, im Winter und Frühjahr 2022, erlitten ihre beiden Betriebe erhebliche Schäden und Verluste. Das Land von Andrii ist seit den intensiven Kampfhandlungen um Tschernihiw mit Minen, Blindgängern und explosiven Kriegsmunitionsrückständen verseucht. An eine Bestellung der Felder ist nicht zu denken. Eines der Gewächshäuser wurde vollständig zerstört, die übrigen wurden durch Granaten und Bomben beschädigt. Auch drei Traktoren wurden beschädigt.
Serhii befindet sich in einer ähnlichen Lage: Ein Grossteil seines Maschinenparks wurde durch die Bombenangriffe zerstört, und während der russischen Besatzung in der Region kam es zu Sabotageakten und Diebstählen. Ein Lagerhaus mit 4000 Tonnen Getreide brannte nieder, und zwei seiner Angestellten kamen ums Leben.
Ukraine Mine Action Conference UMAC2024
Am 17. und 18. Oktober 2024 organisieren die Schweiz und die Ukraine gemeinsam die Ukraine Mine Action Conference (UMAC2024) in Lausanne. Die UMAC2024 bringt hochrangige Vertreterinnen und Vertreter von Regierungen, internationalen Organisationen, dem Privatsektor, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft zusammen. Der Schwerpunkt liegt auf den globalen Aspekten der humanitären Minenräumung unter den Leitthemen People, Partners und Progress. Ziel ist es, die Bedeutung der Minenräumung als zentralen Bestandteil des sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus zu thematisieren. «Die Zivilbevölkerung in den Mittelpunkt der Debatte stellen» bedeutet, die direkten und indirekten Auswirkungen der Verseuchung durch Minen und andere Kampfmittel auf die in der Landwirtschaft tätigen Menschen anzugehen.
Die humanitäre Minenräumung ist unabdingbar für einen raschen Wiederaufbau, die Rückkehr der Vertriebenen und die Existenzsicherung. Die Ukraine setzt sich in vorderster Linie dafür ein, die Bevölkerung vor Minen und explosiven Kriegsmunitionsrückständen zu schützen und das Land wieder zur Nutzung freizugeben.
Lokale Bevölkerung stark gefährdet
Zwei Jahre nach Kriegsausbruch stellen explosive Kriegsmunitionsrückstände immer noch eine Bedrohung für die lokale Bevölkerung dar, insbesondere für die in der Landwirtschaft tätigen Männer und Frauen. Andrii und Serhii haben nach Alternativen gesucht, um die Produktivität ihrer Betriebe zu erhalten, indem sie weiterhin Land bewirtschaften, das ihrer Ansicht nach nicht kontaminiert ist, oder indem sie neue Flächen pachten. Die Optionen sind jedoch beschränkt und die Ertragslage ist prekär. Die ukrainische Landwirtschaft leidet insgesamt massiv, und die Ertragsausfälle wirken sich auch auf die Beschäftigungsmöglichkeiten aus. Insgesamt 80 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen von Andrii Shekera können aufgrund der starken Kontaminierung nicht bewirtschaftet werden. Einige Landwirte sind so verzweifelt, dass sie auf eigene Gefahr weitermachen und auf ihre möglicherweise kontaminierten Felder zurückkehren, darunter auch Landwirte aus dem Dorf Wosnessenske (Oblast Tschernihiw).
Andernorts greifen landwirtschaftliche Angestellte selbst zur Minenräumung, um ihre Arbeit wieder aufnehmen zu können und die Aussaat zu ermöglichen. Dank der Unterstützung der Mitarbeitenden geht es mit der Entminung zwar schneller voran, doch konnten einige sehr schwere Unfälle nur knapp verhindert werden.
Anfang Oktober 2023 begann die Schweizerische Stiftung für Minenräumung (FSD) damit, einige Felder, die zum Betrieb von Andrii in der Oblast Tschernihiw gehören, zu entminen. Zunächst wurden auf den Feldern nichttechnische Untersuchungen durchgeführt, anschliessend begannen die Fachleute der FSD mit der eigentlichen Minenräumung. Doch die Zeit drängt, denn der Betrieb steht kurz vor dem Konkurs. Zehn Bauernfamilien müssen um ihre Arbeitsplätze fürchten. Aufgrund der Schwierigkeiten auf dem Betrieb von Serhii Yakovenko sind etwa 30 Familien mit Ernährungsunsicherheit konfrontiert.
Internationale Organisationen und Minenräumungsfirmen im Dienste der Landwirtschaft
Auch in anderen Regionen der Ukraine sahen sich Tausende Kleinbäuerinnen und Kleinbauern gezwungen, ihre Produktion einzustellen oder zu reduzieren. Sie haben zunehmend Mühe, mit dem geringeren Einkommen über die Runden zu kommen. Wolodymyr Korniicha, dessen Betrieb sich in der Oblast Tscherkassy (etwa 200 Kilometer südöstlich von Kiew) befindet, gehörte vor Beginn des russischen Angriffskriegs wie viele seiner Nachbarn zu den Produzenten, die das Land mit Milch, Fleisch, Obst und Gemüse versorgten. Drei Viertel der Beschäftigten in der ukrainischen Landwirtschaft, darunter Wolodymyr Korniicha, Andrii Shekera und Serhii Yakovenko, sehen sich durch den Krieg und die Unmöglichkeit, ihr Land zu bestellen, in ihrer Existenz bedroht.
Seit 2022 wurde bei jedem der drei Landwirte ein kleiner Teil des Landes entmint. Zu verdanken ist dies einem Programm, das gemeinsam vom Welternährungsprogramm (WFP) und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) durchgeführt wird. Die FSD-Teams sind ebenfalls involviert. Der Fokus des Programms, das in der östlichen Region Charkiw umgesetzt wird, liegt auf Kleinbäuerinnen und Kleinbauern wie Wolodymyr Korniicha, die weniger als 300 Hektar Land bewirtschaften, sowie auf selbstversorgenden Familien. Es wurde 2024 auf zwei weitere der wichtigsten Landwirtschaftsregionen der Ukraine ausgeweitet: Mykolajiw und Cherson.
Das Programm soll die Ernährungssicherheit kleiner lokaler Gemeinschaften gewährleisten, die am stärksten von der Kontamination durch Minen und nicht explodierte Kampfmittel betroffen sind. Viele ländliche Familien sind auf die Erzeugnisse aus dem eigenen Garten angewiesen, um ihre tägliche Ernährung zu decken und sich ausgewogen zu ernähren. Ohne die Möglichkeit zur Selbstversorgung werden diese Familien zunehmend von humanitärer Hilfe abhängig. Das Programm soll diese Abhängigkeit verringern und die Selbstversorgung fördern. Es trägt auch zur Wiederherstellung und Nachhaltigkeit der ukrainischen Ernährungssysteme bei, indem es die lokale und nationale Wirtschaft stabilisiert und den Handel stärkt. Die FAO führt zudem eine Bedarfsanalyse bei den ländlichen Haushalten durch und unterstützt vom Krieg betroffene Familien und Personen mit Bargeldzahlungen zur Wiederherstellung ihrer Lebensgrundlage. Etliche Haushalte sind heute noch ohne Heizung, Strom und Gas.