Zivilisten unter Beschuss

Seit Jahren setzt sich die Schweiz auf verschiedenen Ebenen für Frieden und Sicherheit ein. Sie beteiligt sich an der offenen Debatte des UNO-Sicherheitsrats über den Schutz der Zivilbevölkerung am 25. Mai 2021 und koordiniert während der gesamten Woche verschiedene Nebenveranstaltungen zum Thema. Mit dem angestrebten Einsitz als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat möchte die Schweiz ihr Engagement für Frieden und Sicherheit auf der Welt stärken.

25.05.2021
Ein nach einem Raketenangriff zerstörtes Spitalzimmer in Syrien.

Nach vier Luftangriffen an einem Tag im Februar 2018 stellte das Krankenhaus im syrischen Kafr Nabl seinen Betrieb ein. © Keystone

Ein Kind erblickt irgendwo das Licht der Welt. Es ist heiss und stickig. Kurz darauf ertönt das stetige Heulen eines Alarms und schon erschüttern Raketeneinschläge die Grundmauern der Geburtsklinik. Mittlerweile lassen hierzulande Schlagzeilen wie «Fünf Tote nach Raketenbeschuss auf Spital» viele Menschen kalt. In Zeitungen sind sie praktisch unsichtbar im Auslandteil in einer Spalte untergebracht. Warum? Es passiert zu oft. Fast täglich stehen in Konfliktregionen Kranke, Verwundete, Ärzte, Pflegepersonal und Angestellte von Ambulanzdiensten unter Beschuss, während sie das Leben ihrer Patienten retten.

Ein humanitärer Konvoi der Roten Halbmond Bewegung in Syrien.
Gewaltsame Vorfälle, wie das Plündern von medizinischen Materialien aus humanitären Konvois, haben erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung der Zivilbevölkerung in Konflikten. © Keystone

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verzeichnete für das Jahr 2019 über 1000 gewaltsame Vorfälle, die Auswirkungen auf die medizinische Versorgung hatten und zahlreiche Menschenleben und Verletzte in elf Ländern und Regionen forderten. Zu den Vorfällen gehören zum Beispiel die Zerstörung von Krankenhäusern, Angriffe auf medizinische Transporte, die militärische Nutzung von medizinischen Einrichtungen und das Plündern von medizinischen Materialien aus humanitären Konvois. Solche groben Verletzungen des Humanitären Völkerrechts haben weitgehende und langfristige Konsequenzen: Allein in Afghanistan führten 2019 solche Vorfälle, gemäss Zahlen der UNO, zu einem Verlust von 48’000 Stunden medizinischer Versorgung und 76’000 ausgefallenen Arztkonsultationen. Ganze Gesundheitswesen werden an den Anschlag gebracht und dies nicht zuletzt während der anhaltenden Covid-19-Pandemie.

150 Jahre im Einsatz für die zivile Friedensförderung

Auf Grundlage ihrer Aussenpolitischen Strategie 2020-2023 hat sich die Schweiz Schwerpunkte für den Schutz der Zivilbevölkerung gesetzt. Sie fördert die Einhaltung des Humanitären Völkerrechts durch alle Konfliktparteien, auch bewaffnete Gruppen. Sie setzt sich vor Ort für die Zivilbevölkerung ein oder stellt internationalen Organisationen wie der OSZE, der UNO oder der EU Expertinnen und Experten der zivilen Friedensförderung zur Verfügung. Letztere vermitteln in Konflikten und unterstützen beim Aufbau des Rechtsstaats danach, um Sicherheit und Vertrauen in staatliche Behörden wiederherzustellen. Auf multilateraler Ebene gestaltet die Schweiz die humanitären Rahmenbedingungen in Gremien wie der UNO-Generalversammlung oder dem UNO-Sicherheitsrat mit.

Der Schutz der Zivilbevölkerung und der medizinischen Hilfe für alle, auch auf dem Schlachtfeld, ist seit über 150 Jahren in den Genfer Konventionen verankert, und ein Uranliegen der Schweizer Aussenpolitik. Ein Beispiel: Anna ist Ärztin im nordirakischen Mossul. Sie wird nach der Zerschlagung der Islamischen Staats (IS) 2018 angeklagt. Das «Verbrechen»: Während der Besatzung der Stadt durch die Terrorgruppe, hat sie verwundete Kämpfer medizinisch versorgt. Obwohl der Schutz für die Kranken und Verwundeten, auch des militärischen Gegners, ein Grundpfeiler des Humanitären Völkerrechts ist, kriminalisieren gewisse Massnahmen der Terrorbekämpfung, so wichtig sie sind, jedoch medizinische Hilfe als Unterstützung von Terrorismus. Infolgedessen setzte sich das EDA dafür ein, dass medizinische Hilfe unter allen Umständen möglich bleibt.

UNO-Sicherheitsrat: Offene Debatte über den Schutz der Zivilbevölkerung in Konflikten

Die Schweiz beteiligt sich am 25. Mai an einer offenen Debatte des UNO-Sicherheitsrats über den Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten. Bei offenen Debatten ist auch die Teilnahme von UNO-Mitgliedstaaten, die aktuell nicht im Sicherheitsrat vertreten sind, möglich. Die Schweiz leitet in New York eine Gruppe von 27 Staaten verschiedener Regionen zu dieser Thematik. Als Vertreterin der Gruppe fordert sie im Rahmen der Debatte die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und den Schutz der Zivilbevölkerung und von Personen, die nicht mehr an den Kampfhandlungen teilnehmen.

Portrait von Pascale Baeriswyl.
Pascale Baeriswyl, Botschafterin und Chefin der Ständigen Mission der Schweiz bei den Vereinten Nationen in New York. © Keystone

«Man kann es nicht oft genug betonen: Die Zivilbevölkerung zahlt in bewaffneten Konflikten einen viel zu hohen Preis. Während im Ersten Weltkrieg noch 9 von 10 getöteten Menschen Soldaten waren und nur einer von 10 aus der Zivilbevölkerung stammte, ist das Verhältnis ein Jahrhundert später umgekehrt. Im Jahr 2018 wurden in sechs Ländern – Afghanistan, Irak, Mali, Somalia, Südsudan und Jemen – mehr als 20’000 Zivilpersonen getötet oder verwundet», erklärt Pascale Baeriswyl, Botschafterin und Chefin der Ständigen Mission der Schweiz bei den Vereinten Nationen in New York. «Die Schweiz fordert deshalb die strikte Anwendung der Regeln und Grundsätze des humanitären Völkerrechts durch alle Parteien eines bewaffneten Konflikts, insbesondere derjenigen der Menschlichkeit, der Unterscheidung, der Notwendigkeit, der Verhältnismässigkeit und der Vorsorge.»

Die Zivilbevölkerung zahlt in bewaffneten Konflikten einen viel zu hohen Preis.
Botschafterin Pascale Baeriswyl, Mission New York

Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen, insbesondere auch mit Covid-19, hat die Staatengruppe Themenbereiche identifiziert, die akuten Handlungsbedarf verlangen, damit die Anzahl ziviler Opfer in bewaffneten Konflikten sinkt:

  • Reduktion von Angriffen auf dicht besiedelte Gebiete.
  • Verhindern von Angriffen auf Patienten, medizinisches Personal, medizinische Einrichtungen und Transporte in bewaffneten Konflikten, sowie von Cyber-Angriffen auf medizinische Einrichtungen.
  • Sensibilisierung für den Zusammenhang zwischen bewaffneten Konflikten und der Zerstörung der Umwelt sowie dem Klimawandel, die sich auf die Zivilbevölkerung auswirkt.

Darüber hinaus koordiniert die Schweiz seit 2018 die sogenannte «Protection of Civilians-Woche». Zum vierten Mal in Folge kommen Ende Mai, auf Initiative der Schweiz hin, UNO-Mitgliedsstaaten, UNO-Organisationen und NGOs zusammen, um sich zu Erfahrungen und Empfehlungen zum Schutz der Zivilbevölkerung auszutauschen.  

Geschärftes Profil

Der UNO-Sicherheitsrat tagt in New York.
Unabhängige Stimmen im UNO-Sicherheitsrat sind vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Lage wichtiger denn je. © Keystone

Über die Jahrzehnte hat die Schweiz ihr Profil als unparteiische und solidarische Akteurin auf dem internationalen Parkett geschärft. Mit ihrer Kandidatur für einen nichtständigen Sitz im UNO-Sicherheitsrat in den Jahren 2023 und 2024 verstärkt sie ihr Engagement für Frieden und Sicherheit in der Welt. Denn die Folgen von bewaffneten Konflikten sind weitläufig. Sie verändern die Gesellschaft vor Ort: Migration, Vertreibung und Tod auf dem Schlachtfeld lassen die Gesellschaft altern. Der fehlende Zugang zu medizinischer Versorgung aufgrund zerstörter Krankenhäuser fordert seinen Tribut bei den im Land Verbliebenen. Einkommensmöglichkeiten schwinden, was Armut und Kriminalität grassieren lässt. Kindern und Jugendlichen fehlt der Zugang zu Bildung und sie verharren ohne Zukunftsperspektiven. Nicht zuletzt machen bewaffnete Konflikte in ehemaligen Schwellenländern wie Syrien, Libyen oder Nigeria die Resultate der internationalen Zusammenarbeit zunichte.

Der Schutz der Zivilbevölkerung ist fest im internationalen Recht verankert. Um diese – auch menschlichen – Tragödien zu verhindern, braucht es in erster Linie politischen Willen, das Recht umzusetzen und durchzusetzen. Als nichtständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrates kann sich die Schweiz stärker für ihre Interessen einsetzen. Eine friedliche globale Ordnung ist auch für die Schweizer Wirtschaft wichtig, denn offene Märkte mit klaren Regeln schaffen nicht nur Perspektiven vor Ort, sondern tragen auch zum Wohlstand in der Schweiz bei. Dank ihrem Fachwissen und ihrer Guten Dienste – wie beispielsweise die Schutzmachtmandate – besitzt die Schweiz die Glaubwürdigkeit und das Potenzial, um zur friedlichen Streitbeilegung zwischen Konfliktparteien zugunsten der Weltgemeinschaft beizutragen. Zudem stärkt die Schweiz mit dem Einsitz im Sicherheitsrat ihr aussenpolitisches Gewicht und kann direkten Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung der UNO nehmen. Vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Lage sind unabhängige Stimmen im Sicherheitsrat – wie jene der Schweiz – wichtiger denn je. Sie bauen Brücken und sind, wie es Bundesrat Ignazio Cassis ausgedrückt hat, das «Schmieröl zwischen den Weltmächten».

Frieden und Sicherheit: Ein Schwerpunkt der Schweizer Aussenpolitik

Nachdem der Bundesrat die gegenwärtige Weltlage analysiert und Trends und Tendenzen, die in der Zukunft wichtig werden könnten, evaluiert hatte, legte er Ende Januar 2020 in seiner Aussenpolitischen Strategie 2020–2023 (APS) vier allgemeine Ziele fest:

  • Frieden und Sicherheit
  • Wohlstand
  • Nachhaltigkeit
  • Digitalisierung

Die Kanditatur für den UNO-Sicherheitsrat steht in der APS im Vordergrund, denn mit einem Einsitz kann die Schweiz ihren Verfassungsauftrag für eine «gerechte und friedliche internationale Ordnung» noch effektiver umsetzen. Lokal und im multilateralen Umfeld übernimmt die Schweiz die Rolle einer Brückenbauerin zwischen Konfliktparteien und vermittelt. Die Schweizer Aussenpolitik setzt dabei auf ihre Guten Dienste, die Sicherheits-, Menschenrechts- und Migrationspolitik, die Humanitäre Hilfe und die Wissenschaftsdiplomatie.

Abgeleitet aus der APS verfasst das EDA thematische und geografische Folgestrategien, die entlang der vier Schwerpunkte der APS aufgebaut sind. Dadurch wird das aussenpolitische Engagement der Schweiz effektiver, Doppelspurigkeiten werden vermieden und Synergien zwischen den involvierten Bundesstellen und den externen Partnern genutzt.

Dieses Zusammenspiel der Strategien ist wichtig, damit die Schweiz ihre Aussenpolitik in allen Teilen der Welt koordiniert umsetzen kann und stellt sicher, dass die Schweiz kohärent und als Einheit auftritt.

Mehr zur Strategiekaskade der Schweizer Aussenpolitik

Zum Anfang