Suche und Identifikation von vermissten Personen ist fundamental für den Wiederaufbau eines Landes
Im Rahmen ihrer Politik zur Friedensförderung setzt sich die Schweiz auch für die Suche nach vermissten Personen und deren Identifikation ein. Zu den Schwerpunktländern und -regionen der einschlägigen Programme der Abteilung Frieden und Menschenrechte des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) gehören die Ukraine, der Kaukasus, Kosovo und der Nahe Osten. Die Schweiz unterstützt zudem den Zentralen Suchdienst des IKRK, einen wichtigen Pfeiler ihrer humanitären Tradition, und ist Mitbegründerin der Global Alliance for the Missing.
Die Schweiz unterstützt den Zentralen Suchdienst des IKRK in Genf. Ein IKRK-Mitarbeiter hilft einer Familie aus Luhansk bei der Suche nach einem vermissten Angehörigen. © IKRK/Pieter-Jan De Pue
Konflikte, Migration, Katastrophen: Jedes Jahr werden weltweit Tausende von Menschen als vermisst gemeldet. In der Ukraine wurden seit dem Beginn der militärischen Aggression Russlands im Februar 2022 über 26 000 Personen als vermisst gemeldet. Der Konflikt hat nicht nur für die Familien, sondern auch für die Gesellschaft verheerende Folgen. Nicht zu wissen, was einem Familienmitglied zugestossen ist, bedeutet nicht nur eine enorme Belastung für die Angehörigen, sondern behindert auch die Anstrengungen zur Förderung des Friedens und des sozialen Zusammenhalts. «Wenn diese Verletzungen nicht angegangen werden, kann es zu einer Spaltung der Gesellschaft kommen. Die Aufklärung des Schicksals vermisster Personen ist wichtig für den Wiederaufbau eines Landes und für die Vergangenheitsarbeit. Andernfalls ist kein dauerhafter Friede möglich», erklärt Rea Gehring, stellvertretende Chefin der Abteilung Frieden und Menschenrechte (AFM) im EDA.
Die Suche nach vermissten Personen und deren Identifikation bildet einen Schwerpunkt in den Programmen, die die Schweiz im Rahmen ihrer Friedenspolitik und ihres Engagements für die von bewaffneten Konflikten betroffenen Menschen durchführt. So ist sie zum Beispiel in der Ukraine aktiv, wo Mitarbeiterinnen der AFM am 24. Oktober 2024 eine Feldmission lancierten. Neben dem Ziel, sich ein Bild von der Lage zu machen, steht hier ein Austausch mit den zuständigen ukrainischen Behörden und den einschlägigen zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie die Beurteilung und gegebenenfalls Anpassung der Schweizer Unterstützung im Zentrum.
Material für DNA-Analysen und IT-Ausrüstung für die Ukraine
In der Ukraine, wo im Osten des Landes seit 2014 ein bewaffneter Konflikt herrscht, engagiert sich die Schweiz seit 2016 im Bereich der vermissten Personen. Sie unterstützte die Arbeit des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Aufgrund des starken Anstiegs der Zahl der vermissten Personen ab Februar 2022 baute die Schweiz ihr Engagement aus. Der entsprechende Entscheid wurde nach dem Besuch von Bundesrat Ignazio Cassis in Kiew im Oktober 2022 getroffen.
Über die AFM spendet die Schweiz Material, etwa IT-Ausrüstung und Mobiliar, für die ukrainischen Behörden, die für die Suche nach Vermissten und deren Identifikation zuständig sind. «Dadurch konnten 18 Büros in 18 Regionen des Landes eröffnet werden. Auf diese Weise können die Angehörigen effizienter unterstützt werden», erklärt Rea Gehring. Des Weiteren schickte die Schweiz der Ukraine Material für DNA-Analysen zur rascheren Identifikation von sterblichen Überresten.
Die Schweiz beteiligt sich auch an der Finanzierung des für den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland eingerichteten Büros des Zentralen Suchdiensts des IKRK (ZSD). Das im März 2022 in Genf eröffnete Büro arbeitet mit beiden Konfliktparteien zusammen. Es sammelt, zentralisiert und übermittelt Informationen über das Schicksal von Zivilpersonen und Militärangehörigen, die von der gegnerischen Seite gefangen genommen wurden. «Die Suche nach vermissten Personen ermöglicht es, Konfliktlinien und Voreingenommenheit zu überwinden. So kann ein Kommunikationskanal für einen allfälligen künftigen Dialog offen gehalten werden», sagt Rea Gehring. «Entscheidend ist der Wille der Konfliktparteien. Aber die Schweiz und die von ihr unterstützten Institutionen geben beiden Parteien diese Möglichkeit.»
Ergebnisse auch Jahrzehnte nach einem Konflikt
Die Suche nach Vermissten und deren Identifikation stehen nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Syrien, im Libanon sowie in Georgien, Kosovo, Kolumbien und Mexiko im Zentrum der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz. Die AFM passt ihren Ansatz auf den jeweiligen Kontext an. Ihr langfristiges Ziel ist es, die Voraussetzungen für eine politische Lösung eines Konflikts zu schaffen.
Dank der Unterstützung der Schweiz für das IKRK und eine lokale NGO konnten zum Beispiel in Georgien die Überreste von 13 Personen, die seit dem Abchasienkonflikt von 1992–1993 vermisst wurden, im Juli 2023 den Angehörigen übergeben werden. «Dies ist auch mehrere Jahrzehnte nach dem Konflikt wichtig und trägt zur Vergangenheitsarbeit bei», sagt Rea Gehring.
In Syrien, wo seit dem Beginn des Konflikts im Jahr 2011 rund 130’000 Personen vermisst werden, engagiert sich die Schweiz auf mehreren Ebenen: auf lokaler Ebene durch die Unterstützung von Familien- und Opferorganisationen, auf institutioneller Ebene durch die Aufrechterhaltung des Dialogs mit den zuständigen Behörden sowie auf multilateraler Ebene. Im Juni 2023 war die Schweiz Co-Sponsorin einer von der UNO-Generalversammlung verabschiedeten Resolution zur Schaffung einer UNO-Institution für die Suche nach vermissten Personen und deren Identifikation. Derzeit werden die Grundlagen für die Institution ausgearbeitet. Die Schweiz wird sich weiterhin für deren Errichtung einsetzen. Zurzeit unterstützt sie das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte, das mit der Ausarbeitung des Mandats der Institution beauftragt ist.
Stärkung der forensischen Kompetenzen
Auch auf dem Balkan ist die Schweiz aktiv. In Kosovo unterstützte sie die Polizei bei der Digitalisierung der Archive zu den vermissten Personen von EU- und UNO-Missionen. Zudem bemüht sie sich, die Zusammenarbeit zwischen Kosovo und Serbien durch den Einsatz neuer Technologien bei der Suche nach Vermissten zu erleichtern.
Seit Kurzem ist die Schweiz auch auf dem südamerikanischen Kontinent tätig, und zwar in Mexiko. 2022/2023 wurde ein Programm lanciert, das die forensischen Kompetenzen mexikanischer Spezialistinnen und Spezialisten angesichts der modernen Technologien zur Suche nach vermissten Personen und deren Identifikation stärken soll. Der Kurs wurde vom Centre universitaire romand de médecine légale und der École des sciences criminelles der Universität Lausanne online durchgeführt.
Schweizer Unterstützung für das IKRK
Neben ihrem konkreten Engagement in verschiedenen Regionen der Welt unterstützt die Schweiz auch den Zentralen Suchdienst (ZSD) des IKRK, dem das Sonderbüro für die Ukraine und Russland angegliedert ist (siehe oben). Der vor mehr als 150 Jahren gegründete ZSD in Genf, der sich in vielen Ländern und Regionen der Welt engagiert, ist ein Eckpfeiler der humanitären Tradition der Schweiz.
Anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums des ZSD gründeten die Schweiz und das IKRK 2021 die Global Alliance for the Missing (fr). Diese Allianz, die derzeit zwölf Mitgliedstaaten zählt, hat sich zum Ziel gesetzt, die gemeinsamen diplomatischen Anstrengungen zu verstärken, um dem Verschwinden von Personen vorzubeugen, das Schicksal von Vermissten aufzuklären, den Bedürfnissen der Angehörigen nachzukommen und die Würde der Verstorbenen zu schützen. Im Mai 2023 wurde ein erster Erfolg erzielt. Während einer von der Schweiz geleiteten offenen Debatte zum Schutz von Zivilpersonen im UNO-Sicherheitsrat gab die Allianz ihre erste gemeinsame Erklärung ab. Darin betonte sie, dass die bestehende Kluft zwischen der Resolution 2474 des Sicherheitsrates, der ersten Resolution über Personen, die infolge eines bewaffneten Konflikts vermisst werden, und ihrer konkreten Umsetzung vor Ort überwunden werden müsse.