Warum braucht die Schweiz eine maritime Strategie?

Bodensee, Genfersee, Vierwaldstättersee: Die Schweiz ist ein Land vieler Seen. Als Binnenstaat im Herzen Europas hat sie jedoch keinen direkten Zugang zum Meer. Nun hat der Bundesrat am 2. Juni 2023 die Maritime Strategie der Schweiz für die Jahre 2023–2027 verabschiedet. Denn Themen wie die Nachhaltigkeit der Meeresökosysteme, die maritime Wirtschaft und die Hochseeschifffahrt unter Schweizer Flagge sind für die Schweiz von Bedeutung. Wir erklären, was dahintersteckt.

Ein Frachter transportiert zahlreiche Container. Im Hintergrund, Wasser.

Die Schweiz ist über ihre Flüsse mit drei Meeren verbunden und hat daher einen direkten Einfluss auf die marinen Ökosysteme. © EDA

Rund 90 Prozent des gesamten interkontinentalen Warenaustauschs werden über die Seeschifffahrt abgewickelt. Meere und Ozeane sind somit wichtige Handelswege. Als global orientierte Volkswirtschaft ist die Schweiz auf reibungslose weltweite Logistikketten und den Seehandel angewiesen. Seit 1941 verfügt die Schweiz auch über eine eigene Handelsflotte. Sie wurde nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gegründet, um die Lebensmittelversorgung des Landes sicherzustellen. Grosse Seetransport- und Logistikunternehmen haben ihren Sitz in der Schweiz. Sie betreiben etwa 900 Schiffe, eine der grössten Handelsflotten der Welt.

Auch die Schweiz ist von hochwertigen und nachhaltig genutzten Meeresökosystemen abhängig. Diese spielen eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie Klimawandel und Ernährungssicherheit. Die Schweiz ist durch ihre Flüsse an die Nordsee, das Mittelmeer, die Adria und das Schwarze Meer angebunden und hat somit ihrerseits einen direkten Einfluss auf diese Ökosysteme.

Fünf thematische Schwerpunkte

Die Maritime Strategie der Schweiz soll eine gesamtheitliche Sicht der Interessen der Schweiz im maritimen Bereich ermöglichen, als Kompass der Bundespolitik in diesem Bereich dienen und die Politikkohärenz stärken. Ausserdem kann sie den zahlreichen Akteuren des Sektors in der Schweiz einen Orientierungsrahmen bieten.

Die Strategie wurde in Zusammenarbeit mit den verschiedenen eidgenössischen Departementen und Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft ausgearbeitet. Vor der Ausarbeitung des Entwurfs wurden auch die Kantone konsultiert.

Im Zentrum stehen fünf thematische Schwerpunkte:

Völkerrecht

Als international stark vernetzte Volkswirtschaft hat die Schweiz ein Interesse daran, dass geltendes Seevölkerrecht eingehalten wird. Sie setzt sich in verschiedenen Gremien auf globaler Ebene für die rechtskonforme Umsetzung der Verträge und die Weiterentwicklung des relevanten Acquis ein.

Die Schweiz wird ihr Engagement hauptsächlich auf die Dossiers konzentrieren, die für die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 relevant sind. Die friedliche Streitbeilegung, insbesondere durch den Internationalen Seegerichtshof, soll ebenfalls gestärkt werden.

Schaum und Wellen, um eine der Prioritäten der Schweizer Meeresstrategie zu veranschaulichen.
Die Schweiz setzt sich dafür ein, dass die Gouvernanz der Meere einer regelbasierten Ordnung unterliegt. © EDA

Maritime Wirtschaft

Die maritime Wirtschaft steht im Zentrum globaler Wertschöpfungsketten, von denen die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten und die Industrie abhängig sind. Die Schweiz spielt im maritimen Sektor eine globale Rolle. Schweizer Firmen sind bedeutende Anbieter von Dienstleistungen im Bereich des globalen Seetransports und in verwandten Bereichen wie Charter und Spedition. Die Strategie zielt darauf ab, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im maritimen Sektor zu stärken, insbesondere im Bereich der Besteuerung (Einführung einer Tonnagesteuer) und der Attraktivität der maritimen Berufe.

Drei Personen beobachten ein Schiff, das Container transportiert.
Rund 90 Prozent des gesamten interkontinentalen Warenaustauschs werden über die Seeschifffahrt abgewickelt. © EDA

Maritime Umwelt und Soziales

Die Schweiz setzt sich für den Schutz der Weltmeere vor Verschmutzung und für deren nachhaltige Entwicklung (ökologisch, wirtschaftlich und sozial) ein. Die in der Maritimen Strategie festgelegten Ziele und Massnahmen sollen insbesondere dazu beitragen, die internationale Zusammenarbeit in Bereichen wie der Erhaltung der marinen Biodiversität, der Bekämpfung der Plastikverschmutzung und dem Klimaschutz zu stärken. Die Schweiz strebt unter anderem eine Verschärfung der Kontrollen zur legalen und nachhaltigen Nutzung der marinen Ressourcen im Rahmen des Fischereiausschusses der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und der Internationalen Walfangkommission an.

Der Bundesrat bestätigt in der Strategie auch, dass die Schweiz im Rahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) das Treibhausgas-Reduktionsziel für die weltweite Seeschifffahrt auf Netto-Null bis 2050 unterstützen wird. Die Schweiz will zudem unterstreichen, dass sie der Bewirtschaftung ihrer grenzüberschreitenden Flüsse, die im Meer enden, grosse Bedeutung beimisst.

Netto-Null in der Seeschifffahrt

Aufgrund ihres transnationalen Charakters sind die Emissionen der Seeschifffahrt nicht in die nationalen Verpflichtungen unter dem Pariser Klimaabkommen eingeschlossen. Der Treibhausgasausstoss der Schifffahrt ist allerdings nicht zu vernachlässigen: Auf den Weltmeeren werden nicht nur gut 90 Prozent aller Güter transportiert, sondern die Seeschifffahrt ist auch für rund 2,5 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Dekarbonisierung der internationalen Seeschifffahrt harmonisierte internationale Regulierungen benötigt. Aus diesem Grund unterstützt die Schweiz die Bemühungen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) zur Treibhausgasreduktion der Seeschifffahrt und setzt sich auf diesem Weg für eine koordinierte und globale Lösung ein: Die Reduktionsziele sollen den Pariser Zielen entsprechen; die Emissionen der Seeschifffahrt müssen bis 2050 auf Netto-Null gesenkt werden.

Maritime Wissenschaft und Forschung

Die Erforschung der Meere und Ozeane spielt eine entscheidende Rolle für das Verständnis und die Beeinflussung des Klimasystems der Erde. Die schweizerischen Meeresforschenden sind insbesondere auf den Gebieten der Modellierung, der Biodiversität und der Ökologie gut etabliert. Auch in der Polarforschung gehören Schweizer Forscherinnen und Forscher zur Weltspitze. Diese Kompetenzen werden aber auf internationaler Ebene nicht genügend anerkannt und sollen sichtbarer gemacht werden.

Die Schweiz will zudem den Zugang zu Forschungsschiffen für die Schweizer Forschungsgemeinschaft unterstützen und ihre Teilnahme an internationalen Expeditionen und Projekten fördern.

Drei Wissenschaftler hantieren auf einem Schiff mit Material und tragen gelbe Helme auf dem Kopf.
Die Schweizer Polarforschung ist international anerkannt. Ein Planktonnetz wird hier im Rahmen einer Studie über Mikroplastik in der Antarktis eingesetzt. © Universität Basel/Patricia Holm

Schweizer Flagge

Die für die gewerbliche Seeschifffahrt genutzten Schiffe unter Schweizer Flagge sind auf allen Weltmeeren im Einsatz. Sie sind Eigentum von privaten Schweizer Unternehmen und werden von Schweizer Reedereien betrieben. Die 1953 erlassene Gesetzgebung zur gewerblichen Seeschifffahrt unter Schweizer Flagge ist in verschiedener Hinsicht veraltet. Sie trägt den heutigen Bedürfnissen und Umständen nicht genügend Rechnung, was internationale Wettbewerbsnachteile zur Folge hat. Deshalb führt nur ein sehr kleiner Teil der Schiffe in Schweizer Besitz auch die Schweizer Flagge.

Mit der Revision der Seeschifffahrtsgesetzgebung soll die Schweizer Flagge modernisiert und attraktiver werden. Zu diesem Zweck sollen insbesondere die Registrierungsvoraussetzungen gelockert, das Sanktionsregime flexibler ausgestaltet, die bestehenden Aufsichtsmassnahmen gesetzlich verankert werden, die mindestens den internationalen Anforderungen entsprechen. Neu soll eine attraktive Flagge mit zuverlässigen regulatorischen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Gleichzeitig sollen auch die Bestimmungen zur internationalen Freizeitschifffahrt sowie die nationalen Bestimmungen für die internationale Rheinschifffahrt überprüft und wo nötig angepasst werden, um insbesondere die Registrierung dieser Art von Schiffen zu erleichtern.

Ein schwarz-rotes Frachtschiff mit vier Schornsteinen fährt unter Schweizer Flagge.
Schiffe unter Schweizer Flagge gehören schweizerischen Privatunternehmen und werden von schweizerischen Reedern betrieben. © Reederei Zürich AG

Kohärente Aussenpolitik

Die Maritime Strategie beruht auf der Aussenpolitischen Strategie 2020–2023, in welcher der Bundesrat gestützt auf eine Analyse des internationalen Umfelds und unter Berücksichtigung zukunftsträchtiger Entwicklungen und Trends übergeordnete Ziele und eine allgemeine Stossrichtung festgelegt hat.

Die aussenpolitischen Prioritäten der Schweiz werden in einer Reihe von geografischen und thematischen Folgestrategien konkretisiert.

Weiterführende Informationen zur Strategiekaskade der Schweizer Aussenpolitik

Geografische Strategien

Thematische Strategien

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