«Wir gestalten in weiten Teilen unseren Lebensraum gemeinsam»

Im Rahmen eines offiziellen Besuchs im Fürstentum Liechtenstein nimmt Bundesrat Ignazio Cassis im Interview mit dem «Liechtensteiner Volksblatt» Stellung zur speziellen Beziehung der beiden Länder, zur Europapolitik der Schweiz und zur wichtigen Rolle kleiner Staaten in multilateralen Organisationen.

Fotomontage mit Ignazio Cassis, der in die Kamera schaut, und zwei Sprechblas-Icons mit Fragezeichen und Antwort zur Darstellung eines Interviews.

Bundesrat Cassis ist auf Besuch im Fürstentum Liechtenstein und nimmt im Interview Stellung zur speziellen Beziehung der beiden Länder und zur Schweizer Europapolitik. © EDA

Freitag, 25. September. In zwei Tagen stimmt die Schweiz über die Begrenzungsinitiative (BGI) ab. Eine wichtige Abstimmung für die Schweiz, schliesslich geht es bei der Initiative um die Ausgestaltung der zukünftigen Beziehung der Schweiz mit ihrem wichtigsten Wirtschaftspartner. «Eine Annahme der Initiative würde wohl zur Kündigung des ganzen bilateralen Wegs führen. Wir müssten in diesem Fall die Beziehungen zur EU von Grund auf neu aufbauen», betont Bundesrat Cassis.

BGI: Hohes Risiko für die Wirtschaft

Welche Auswirkungen eine Annahme der Begrenzungsinitiative auf die in Liechtenstein wohnhaften Schweizerinnen und Schweizer, sowie die zahlreichen Grenzgängerinnen und Grenzgänger haben würde, darüber könne aktuell nur spekuliert werden.

«Klar ist, dass eine Annahme der Begrenzungsinitiative dem Wirtschaftsaustausch zwischen der Schweiz und ihren Nachbarstaaten schaden würde», bekräftigt der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Gerade die guten Beziehungen mit den angrenzenden Ländern und die geregelte Personenfreizügigkeit haben grossen Einfluss auf den Wohlstand in der Schweiz.

Klar ist, dass eine Annahme der Begrenzungsinitiative dem Wirtschaftsaustausch zwischen der Schweiz und ihren Nachbarstaaten schaden würde.

Bundesrat Cassis hob bei seinem Besuch in Vaduz insbesondere auch die über hundertjährige freundschaftliche und wirtschaftliche Verbundenheit zwischen der Schweiz und Liechtenstein hervor. «Wir verfügen über einen gemeinsamen Wirtschaftsraum, gleiche Regeln und faire Wettbewerbsbedingungen. Wir gestalten in weiten Teilen unseren Lebensraum gemeinsam.»

COVID-19: Hohe Solidarität in der Bevölkerung

Gute Beziehungen sind aber nicht nur in einem wirtschaftlichen Kontext wichtig, sondern entfalten ihre Bedeutung gerade auch in Krisenzeiten. «COVID-19 hat gezeigt, wie sehr wir diesen Austausch brauchen, wie wichtig gute Beziehungen sind», betont Ignazio Cassis. «Die vergangenen Monate waren für uns alle eine Herausforderung. Wir wurden mit einer neuen Situation konfrontiert.» Hinzukommt, dass weder alle Länder, noch alle Kantone in der Schweiz gleich stark von der Pandemie betroffen waren. «Ich habe eine hohe Solidarität in der Bevölkerung gespürt; in der Schweiz wie in Liechtenstein. Diese Erfahrung hat uns näher gebracht.»

Freundschaftliche Beziehungen baut man aber nicht während einer Krise auf. Die Verbundenheit zwischen Liechtenstein und der Schweiz ist das Ergebnis einer über 100-jährigen Kooperation, harter Arbeit und gemeinsamer Werte. Diese enge freundschaftliche Verbundenheit macht das Fürstentum Liechtenstein zu einem der wichtigsten Partnern der Schweiz.

Ich habe eine hohe Solidarität in der Bevölkerung gespürt; in der Schweiz wie in Liechtenstein. Diese Erfahrung hat uns näher gebracht.

Und Freunde unterstützten sich bekanntlich gegenseitig, entsprechend setzt sich die Schweiz im globalen Kontext auch für die Interessen Liechtensteins ein. Seit 1919 wahrt die Schweiz in Ländern, in denen das Fürstentum keine eigene diplomatische Vertretung hat, die Interessen der liechtensteinischen Staatsangehörigen.

UNO: Mehrheiten auf multilateraler Ebene

Die Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein arbeiten auch auf multilateraler Ebene eng zusammen – unter anderem im Rahmen der Vereinten Nationen (UNO). «Liechtenstein ist ein eigenständiger Staat. Seine UNO-Politik ist sehr beeindruckend und beweist, dass auch kleine Staaten viel bewirken können. Liechtenstein und die Schweiz stimmen oft gleich, weil wir uns für die gleichen Werte und Interessen einsetzen. Aus diesem Grund arbeiten wir auch in der UNO oft eng zusammen», erklärt Bundesrat Cassis.

Seit 30 Jahren ist das Fürstentum Liechtenstein Mitglied der UNO und macht sich dabei stark für eine regelbasierte internationale Ordnung, für Menschenrechte und die Rechenschaftspflicht. Themen, die auch für die Schweiz von hoher Bedeutung sind, entsprechend setzten sich die beiden Länder oft zusammen für ihre Anliegen ein.

Die gemeinsamen Erfolge innerhalb der UNO beweisen, dass für kleine Länder wie die Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein die Zusammenarbeit auf multilateraler Ebene die Möglichkeit bietet, sich in der Aussenpolitik mit gleichgesinnten Staaten abzustimmen, strategische Partnerschaften zu vertiefen und Kooperationen einzugehen. Entsprechend gilt es auch den bilateralen Beziehungen Sorge zu tragen und den Austausch zu fördern.

Zu Gast bei Freunden

Bundesrat Ignazio Cassis traf am 25. September 2020 anlässlich eines offiziellen Besuchs im Fürstentum Liechtenstein Regierungsrätin Katrin Eggenberger, Ministerin für Äusseres, Justiz und Kultur. Die beiden Aussenminister sprachen über die grenzüberschreitenden und bilateralen Beziehungen sowie europäische und internationale Themen. Am Abend hält Bundesrat Ignazio Cassis vor Wirtschaftsführern eine Rede zur schweizerischen Aussenpolitik. Bei seinem Besuch in Vaduz traf er auch Seine Durchlaucht Alois von und zu Liechtenstein. (zur Medienmitteilung)

Zum Anfang