«Lugano – Locarno unter 30 Minuten: das ist wie eine U-Bahn»

Im Tagesgespräch von Radio SRF freut sich Bundesrat Ignazio Cassis über die Eröffnung des Ceneri-Basistunnels. Der Tessiner Bundesrat betont die Bedeutung des Jahrhundertprojektes einerseits für seinen Heimatkanton, andererseits für die Schweiz und zeigt auf, wie die Schweiz auch zukünftig eine selbstbewusste Rolle in Europa und der Welt spielen will.

04.09.2020
EDA
Fotomontage mit Ignazio Cassis, der in die Kamera schaut, und zwei Sprechblas-Icons mit Fragezeichen und Antwort zur Darstellung eines Interviews.

Bundesrat Ignazio Cassis betont im SRF-Tagesgespräch die Bedeutung des Ceneri-Basistunnels für seinen Heimatkanton. © EDA

«Freude herrscht wieder!», sagt Bundesrat Ignazio Cassis in Anlehnung an das berühmte Zitat von Alt Bundesrat Adolf Ogi vor über 30 Jahren. Die Eröffnung des Ceneri-Basistunnels ist nicht nur national ein Freudentag, weil damit das Jahrhundertprojekt NEAT einen erfolgreichen Abschluss findet, sondern stellt auch für den Kanton Tessin ein besonderer Moment mit starker Symbolkraft dar.

«Der Ceneri-Basistunnel ist für das Tessin enorm wichtig. Er schafft Perspektiven: wirtschaftliche Entwicklungsperspektiven, Arbeitsmarktperspektiven und interkulturelle Perspektiven. Zudem vereinfacht der Ceneri-Basistunnel die menschlichen Beziehungen in der gesamten Schweiz», betont Bundesrat Cassis.

Grosser Einfluss auf den Arbeits- und Wirtschaftsstandort Tessin

Innert zwei Stunden von Lugano nach Zürich: Etwas, was damals, als Ignazio Cassis selbst noch für sein Studium aus dem Tessin nach Zürich reiste, undenkbar gewesen wäre. «Ich musste mit dem Auto über den Gotthard und brauchte dafür über vier Stunden. Die Möglichkeiten, die uns die NEAT bietet, sind ein Quantensprung in der Bewegungsfreiheit unseres Landes.» Auch im Südkanton selbst rückt man dankt dem Ceneri-Basistunnel näher zusammen. «Lugano – Locarno unter 30 Minuten: das ist wie eine U-Bahn. Das ist wie innerhalb einer einzigen Stadt mit dem Tram zu verkehren. Dieser Freude kann man nicht genug Ausdruck verleihen.»

Die Möglichkeiten, die uns die NEAT bietet, sind ein Quantensprung in der Bewegungsfreiheit unseres Landes. Dieser Freude kann man nicht genug Ausdruck verleihen.

Mit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels wachsen auch die Tessiner Städte Bellinzona, Lugano und Locarno zusammen. Etwas, das mittelfristig grossen Einfluss auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der Region haben wird. «Der Ceneri-Basistunnel ermöglicht ein einfaches Pendeln zwischen diesen Städten. Damit hat er grossen Einfluss auf die Mobilität die Bevölkerung. Und das wiederum hat Einfluss auf den Arbeitsmarkt. Die Wirtschaftsstruktur orientiert sich an Standorten, die Vorteile bieten. Genügend qualifizierte Mitarbeitende sind dabei der grösste Treiber der Wirtschaft», betont Bundesrat Cassis.

Die Freiheit nein zu sagen ist Teil der Schweizer Identität

Wichtig für die Wirtschaft sind auch politische Stabilität und klare Regeln. Eine wichtige Wirtschaftspartnerin für die Schweiz ist die Europäische Union. Bundesrat Cassis betont im SRF-Tagesgespräch wie bedeutend es sei, dass nach der Volksabstimmung vom 27. September 2020 zur Begrenzungsinitiative (BGI) Klarheit bezüglich dem weiteren Vorgehen herrsche. «Damit wir unsere zukünftige Beziehung mit der EU klären und die Rolle der Schweiz in Europa definieren können, muss das Volk am 27. September zuerst nein sagen zur BGI. Wenn die Volksinitiative angenommen wird, würde das zu grosser Unsicherheit im Austausch mit unseren Nachbarländern und der gesamten EU führen.»

Dies hätte wiederum direkten Einfluss auf den Wohlstandstand und die Unabhängigkeit der Schweiz. «Natürlich können die Gespräche mit der EU immer missverstanden werden als verlören wir unsere Freiheit. Wir würden diese aber auch verlieren, wenn wir die Möglichkeit aufgeben, nein zu sagen», betont Ignazio Cassis.

Die Schweiz wäre gerne geopolitisch arbeitslos

Offene Gespräche sind per se die beste Basis für gute wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Beziehungen; nicht nur in Europa. Gleich im Anschluss an die Eröffnung des Ceneri-Basistunnels reist Bundesrat Cassis in seiner Funktion als Aussenminister in den Iran. Grund für den Besuch ist in erster Linie das 100-Jahr-Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern, aber auch das Schutzmandat, welches die Schweiz für die USA und Kanada im Iran wahrnimmt.

Es wäre illusorisch zu glauben, dass die Schweiz so mächtig ist, dass sie anderen Länder befehlen kann, was sie zu tun haben. Aber steter Tropfen höhlt den Stein.

Das Schutzmachtmandat ist ein Beispiel für die guten Dienste der Schweiz und sei viel mehr als ein Briefträgerjob zwischen zwei zerstrittenen Staaten. «Aber ich möchte die klassische Briefträgerfunktion nicht unterschätzt wissen: manchmal sind Briefe sehr wichtig und es ist für eine Beziehung von grosser Bedeutung, dass diese Briefe sicher von Punkt A nach Punkt B kommen», betont Bundesrat Cassis. Gute Dienste sind nichts Neues für die Schweiz. Sie stellen ihre Soft Power dar, mit welcher sie eine bedeutende Rolle in der internationalen Politik spielt.

Wobei, eigentlich wäre es dem Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) lieber, man hätte nicht mehr so viel zu tun. «Leider werden die guten Dienste wieder vermehrt benötigt. Ich sage leider, weil in einer idealen Welt müssten wir eigentlich arbeitslos sein.»

Kein Dialog ist keine Alternative zu unbequemen Gesprächen

In einer fragmentierten Welt wie der unseren wird die Schweiz in ihrer Rolle des Mediators nicht so schnell arbeitslos. Umso wichtiger ist ein offener Austausch – auch über heikle Themen. «Wenn man die Rolle eines Mediators hat, dann ist diese Rolle von beiden Seiten gewollt und somit ist auch die Bereitschaft da, über schwierige Themen zu reden. Unter Freunden darf man auch heikle Themen ansprechen», ist Bundesrat Cassis überzeugt.

Klar braucht man dafür Geduld und einen langen Atem. «Es wäre illusorisch zu glauben, dass die Schweiz so mächtig ist, dass sie anderen Länder befehlen kann, was sie zu tun haben. Aber steter Tropfen ölt den Stein. Und wir sind nicht alleine; es gibt die multilateralen Unterstützungsgremien. Und was wäre die Alternative? Kein Dialog? Mit ihnen nicht zu sprechen? Damit erreichen wir noch weniger.»

Die Schweiz setzt also auf Dialog anstatt Abschottung, auf Nähe anstatt Distanz: das gilt für Locarno und Lugano genauso wie für die Schweiz in ihrer Beziehung zur EU und dem Rest der Welt.

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