«Es ist an der Zeit, ein neues Kapitel zwischen der Schweiz und dem Heiligen Stuhl aufzuschlagen»

Im Interview mit kath.ch, einer Internet-Plattform im Auftrag der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz, blickt Bundesrat Ignazio Cassis auf den geplanten Besuch von Kardinal Pietro Parolin in der Schweiz voraus. Zudem gibt er Einblick in sein persönliches Verhältnis zum Glauben.

Fotomontage mit Ignazio Cassis, der in die Kamera schaut, und zwei Sprechblas-Icons mit Fragezeichen und Antwort zur Darstellung eines Interviews.

«Katholisch zu sein, heisst für mich: authentisch zu sein und meinen Werten treu zu bleiben», sagt Bundesrat Cassis im Interview mit kath.ch. © EDA

Am 9. November 2020 ist der offizielle Arbeitsbesuch von Kardinal Pietro Parolin, des Staatssekretärs des Heiligen Stuhls, in der Schweiz geplant. Anlass ist der 100. Jahrestag der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Heiligen Stuhl – nach knapp 50 Jahren Unterbruch als Folge des Kulturkampfs in der Schweiz. «Ich bin der Meinung: Es ist an der Zeit, ein neues Kapitel zwischen der Schweiz und dem Heiligen Stuhl aufzuschlagen», sagt Bundesrat Cassis im Interview mit kath.ch. Dieses könnte in einer engeren Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen bestehen.

Ich bin der Meinung: Es ist an der Zeit, ein neues Kapitel zwischen der Schweiz und dem Heiligen Stuhl aufzuschlagen.

Die Schweiz und der Heilige Stuhl haben in gewissen Bereichen ähnliche Werte und Interessen: «Das beginnt bei der Schweizergarde und geht bis hin zum Kampf gegen die Todesstrafe», so Bundesrat Cassis. Bei allen Gemeinsamkeiten gebe es aber auch Unterschiede. Zum Beispiel vertrete der Vatikan eine konservative Position mit Blick auf das Familienbild. «Das sehen wir anders», sagt der Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten EDA.

Das EDA prüft derzeit auf Wunsch des Vatikans auch die Einführung eines eigenen, residenten Schweizer Botschafters beim Heiligen Stuhl. Hier gibt es laut Bundesrat Cassis aber noch keinen Entscheid. Derzeit vertritt der Schweizer Botschafter in Slowenien die Schweizer Interessen beim Vatikan.

In einer katholischen Familie aufgewachsen

Er selbst sei «gerne katholisch», sagt Bundesrat Cassis mit Blick auf sein persönliches Glaubensverständnis. Er sei in einem katholischen Kanton und in einer typisch katholischen Familie gross geworden: «Es gab die Schule, die Familie und die Kirche.» Und in der Schule einige wenige reformierte Schul- und Spielkameraden, die vom Religionsunterricht dispensiert waren und eine Freistunde hatten. «Da war ich schon ein bisschen neidisch», so Bundesrat Cassis.

Katholisch zu sein, heisst für mich: authentisch zu sein und meinen Werten treu zu bleiben.

Mit zunehmendem Alter – und mit der Verantwortung, Firmpate zu sein – sei dann der Glaube eines Kindes dem Glauben eines Erwachsenen gewichen. «Katholisch zu sein, heisst für mich: authentisch zu sein und meinen Werten treu zu bleiben», sagt Bundesrat Cassis.

Orientierung in Zeiten der Angst

Mit Blick auf aktuelle Themen, etwa die Coronavirus-Pandemie, betont der Vorsteher des EDA, dass «gerade in ängstlichen Momenten Orientierung zentral» ist. Deshalb sollen die Kirchen «das spirituelle Leben nicht nur weiterhin betreuen, sondern intensivieren.»

Die Kirchen sollen das spirituelle Leben nicht nur weiterhin betreuen, sondern intensivieren.

Gefragt nach der Haltung zur Konzernverantwortungsinitiative unterstreicht Bundesrat Cassis die Position des Bundesrates: Dieser lehnt die Initiative ab, obwohl er das Grundziel teilt. Das Problem liegt in der Frage der Territorialität: «Der Bundesrat findet es problematisch, dass Schweizer Gerichte über das Geschehen in anderen Ländern urteilen sollen.» Das verletzt das territoriale Prinzip und öffnet die Büchse der Pandora: «Was passiert, wenn morgen ausländische Gerichte über Fälle bei uns urteilen?»

Bei der Initiative «Für ein Verbot der Finanzierung von Kriegsmaterialproduzenten» besteht für den Bundesrat ein Zielkonflikt von Frieden und Sicherheit. Niemand will und kann Waffen in Bürgerkriegsländer exportieren, stellt Bundesrat Cassis klar. Das verbietet bereits das heutige Kriegsmaterialgesetz aus dem Jahr 1996. Die Industrie aber darf unter sehr restriktiven Auflagen exportieren, weil die Schweiz eine Armee haben, die auf eine Rüstungsindustrie angewiesen ist. «Wir wollen Frieden, aber auch Sicherheit», so Bundesrat Cassis.

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