Schweiz und Multilateralismus: fünf Einblicke in die Diplomatie für Frieden

Der 24. April ist der Internationale Tag des Multilateralismus und der Diplomatie für Frieden. Dabei handelt es sich um zwei wichtige Prioritäten der schweizerischen Aussenpolitik, mit der die Schweiz zu einer friedlichen internationalen Ordnung beitragen will. Sie tut dies, indem sie ihren Mehrwert in die multilateralen Gremien und über das internationale Genf einbringt. Fünf Personen sprechen über ihr Engagement für den Frieden. Geschichten über Diplomatie, Mediation und Dialog.

Die UNO-Emblem wird auf die Fassade des Bundeshausespalastes projiziert.

Die Projektion des UNO-Emblems aufs Parlamentsgebäude visualisiert das Schweizer Engagement im Multilateralismus. © EDA

Die Pandemie hat die Bedeutung des Multilateralismus bei der Bewältigung der globalen Herausforderungen, die in der Agenda 2030 beschrieben sind, noch deutlicher gemacht. Mit unterschiedlichen Instrumenten (gute Dienste, Konfliktprävention und -lösung, Mediation, Förderung des Dialogs usw.) trägt die Schweiz zu Frieden und Sicherheit in der Welt bei, einer ihrer aussenpolitischen Prioritäten.

Die Schweiz wird oft als Brückenbauerin bezeichnet, wenn es um ihr Engagement als Gaststaat, Vermittlerin oder Mitglied internationaler Organisationen geht. Aber was ist ihr Mehrwert auf multilateraler Ebene? Was machen Schweizer Expertinnen und Experten in den internationalen Organisationen? Die erste Station zur Vertiefung des Themas ist das internationale Genf, ein Ort für Friedensgespräche.

Auf dem Rasen des Gebäudes der Vereinten Nationen steht Anne-Lise Favre Pilet neben zwei UN-Agenten und einem Bombenspürhund.
Anne-Lise Favre Pilet arbeitet mit den UN-Agenten Popa und David und dem Bombenspürhund Memphis. Sicherheit ist ein Schlüsselwort bei den Genfer Treffen. © EDA

Genf: eine Dialog-Plattform

«Wenn sich Konfliktparteien an einen Tisch setzen, ist das bereits ein Erfolg. Manchmal werden wichtige Ergebnisse erzielt, wie ein Waffenstillstand, die Einrichtung einer Übergangsregierung, die Öffnung humanitärer Korridore oder ein Gefangenenaustausch, Schritte weg vom Krieg und hin zum Frieden», sagt Anne-Lise Favre Pilet, Chefin der Sektion Sicherheit und allgemeine Angelegenheiten der Ständigen Mission der Schweiz beim Büro der Vereinten Nationen und den anderen internationalen Organisationen in Genf.

Die Stadt am Genfer See ist eine Begegnungsplattform für diejenigen, die den Verhandlungsweg suchen. In der Calvinstadt finden regelmässig Verhandlungsrunden statt. Darunter waren die Verhandlungen über das Atomabkommen mit dem Iran und in jüngster Zeit Gespräche zu Syrien, zum Jemen und zu Libyen. Die Dienstleistungspalette der Schweiz reicht von der einfachen logistischen Unterstützung bis zur Mediation. Die Sicherheit ist ein zentrales Anliegen. 

Zum Thema, Anne-Lise Favre Pilet

Genf ist aus verschiedenen Gründen ein idealer Ort für die Förderung des Dialogs zwischen Konfliktparteien: seine geografische Lage im Herzen Europas und auf halbem Weg zwischen Ost und West, seine lange humanitäre Tradition, die mit der Gründung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz ihre Anfänge nahm, oder seine Grösse und Infrastruktur. Der Flughafen liegt nur 15 Minuten vom Palais des Nations entfernt. Die Neutralität der Schweiz ist zudem eine Garantie für Unparteilichkeit. Worin besteht die Aufgabe der Schweiz, wenn sie Verhandlungsrunden ausrichtet? «Die Dienstleistungen der Schweiz können je nach Wunsch der Konfliktparteien von der einfachen logistischen Unterstützung bis zur Mediation reichen. Die Teams, die solche Treffen organisieren, sind klein, agil und schnell. Sie können auch kurzfristig eine Verhandlungsrunde durchführen», erklärt Anne-Lise Favre Pilet, die sich in Genf hauptsächlich um Sicherheitsaspekte kümmert.

Die Sicherheit spielt bei solchen Treffen eine zentrale Rolle. Dabei gilt es, eine Vielzahl von Koordinationsaspekten zu berücksichtigen. «Die Gewährleistung der Sicherheit bei den durchschnittlich 4700 Besuchen pro Jahr von Staatsoberhäuptern, Ministerinnen und Ministern sowie anderen Würdenträgern stellt hohe Anforderungen an die Sicherheitskräfte. Zum Schutz der verschiedenen Delegationen arbeiten die Kantonspolizei, die Sicherheitsdienste des Bundes und gelegentlich auch die Armee eng zusammen und koordinieren sich mit den ausländischen Sicherheitsdiensten und der UNO», sagt Anne-Lise Favre Pilet. Hier kommt auch die Sektion Sicherheit und allgemeine Angelegenheiten der Schweizer Mission in Genf ins Spiel. «Unsere Aufgabe ist es, den Informationsfluss und die Koordination zwischen den schweizerischen Ordnungskräften und ihren ausländischen Kolleginnen und Kollegen sicherzustellen, mögliche diplomatische Hürden aus dem Weg zu räumen, die Anreise der Delegationen in Genf zu erleichtern und manchmal auch Sondergenehmigungen zu beantragen, wenn zum Beispiel eine Delegierte oder ein Delegierter aufgrund von Sanktionen nicht einreisen darf», erklärt Anne-Lise Favre Pilet.

Sie war bei vielen der Verhandlungsrunden zum Iran-Atomabkommen in Genf, Montreux oder Lausanne anwesend. Die sieben Delegationen (Iran, USA, Russland, China, Frankreich, Deutschland und EU) wurden oft von den Aussenministern geleitet. «Für uns war es eine einmalige Erfahrung, die sich über mehrere Jahre erstreckte. Jede Verhandlung hat etwas Magisches an sich. Wenn sich Konfliktparteien an einen Tisch setzen, ist das bereits ein Erfolg. Manchmal werden bei diesen Gesprächen wichtige Ergebnisse erzielt, wie ein Waffenstillstand, die Einrichtung einer Übergangsregierung, die Öffnung humanitärer Korridore oder ein Gefangenenaustausch, Schritte weg vom Krieg und hin zum Frieden».

Nahaufnahme von Luca Urech vor einer Karte von Syrien.
Luca Urech besucht einen Masterstudiengang zur Ausbildung professioneller Mediatoren. Die Suche nach Konsens und interkulturelle Sensibilität sind Schlüsselelemente des Berufs. © EDA

Diplomatie für den Frieden und die Rolle der Mediation

«Mit dem Civil Society Support Room in Genf wird die Zivilgesellschaft erstmals institutionell in einen UNO-Friedensprozess miteinbezogen. Das Schweizer Engagement für Syrien widerspiegelt nicht zuletzt den partizipativen Charakter unserer eigenen Demokratie», sagt Luca Urech, diplomatischer Mitarbeiter in der Abteilung Frieden und Menschenrechte des EDA.

In Genf ist über die Jahre ein eigentliches «Ökosystem» von Akteuren und Institutionen entstanden, die für den Friedensprozess in Syrien arbeiten. Die Schweizer Friedensdiplomatie setzt sich dafür ein, dass die Verhandlungen in Genf nicht nur den Konfliktparteien offenstehen, sondern auch der Zivilgesellschaft. Die Schweiz ist aufgrund ihrer Reputation als neutrale und unparteiische Vermittlerin gut aufgestellt. Das EDA setzt sich zusammen mit der ETH für die Professionalisierung der Friedensdiplomatie ein. Die Rolle des Mediatorin oder des Mediators wird zum Beruf.

Zum Thema, Luca Urech

Als Gaststaat des Friedensprozesses für Syrien hat die Schweiz eine grosse Verantwortung, aber auch Möglichkeiten zur Mitgestaltung. Die Schweizer Friedensdiplomatie setzt sich zum Beispiel dafür ein, dass die Verhandlungen in Genf nicht nur den Konfliktparteien offenstehen, sondern auch anderen Akteuren der syrischen Zivilgesellschaft. «Mit diesem Ziel konzipierte die Schweiz zusammen mit der UNO den Civil Society Support Room in Genf», erklärt Luca Urech. «Mehr als 1000 syrische Bürgerinnen und Bürger und Organisationen erhielten dadurch eine Stimme im Friedensprozess. Es ist eine Premiere, dass die Zivilgesellschaft institutionell in einen UNO-Friedensprozess einbezogen wird. Das Schweizer Engagement für Syrien widerspiegelt nicht zuletzt den partizipativen Charakter unserer eigenen Demokratie».

Wie bereits erwähnt bietet Genf einen Mehrwert zur Förderung des Dialogs: «Die Schweiz ermöglicht allen Parteien den freien und gleichwertigen Zugang zu den Gesprächen. Zudem unterstützt sie die UNO bei der Einbindung der syrischen Zivilgesellschaft und stellt dem UNO-Team Schweizer Expertinnen und Experten zur Verfügung», sagt Luca Urech. Schliesslich sind in Genf Organisationen versammelt, die sich für in Syrien einsetzen: Dazu gehören humanitäre Organisationen wie das IKRK oder das UNO-Flüchtlingshilfswerk und UNO-Gremien wie der Menschenrechtsrat.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Neutralität: Dank ihres Rufs als neutrale und unparteiische Vermittlerin geniesst die Schweiz oftmals das Vertrauen der Konfliktparteien. Die Vermittlungstätigkeit selbst erfordert verschiedene Eigenschaften und Kompetenzen, die erlernt und weiterentwickelt werden können. Der Master of Advanced Studies Mediation in Peace Processes (MAS ETH MPP) an der ETH Zürich hat zum Ziel, Mediatorinnen und Mediatoren für die Friedensdiplomatie auszubilden. Es handelt sich um den weltweit einzigen Lehrgang dieser Art. Der Master wird vom EDA und drei weiteren Aussenministerien mitgetragen.

Luca Urech nimmt zusammen mit 20 weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus verschiedenen Aussenministerien, der UNO, der EU, der OSZE und der Zivilgesellschaft an diesem Lehrgang teil. Zu den Ausbildungsinhalten gehören: Konfliktparteien auf Verhandlungen vorbereiten, sie an den Verhandlungstisch bringen und Mediationsprozesse planen, aufgleisen und leiten. «Eine Haupterkenntnis für mich war: Als Mediator muss man unvoreingenommen an die Konfliktparteien herantreten und verschiedene Blickpunkte auf die strittigen Anliegen einnehmen können. Darüber hinaus muss man gut zuhören können, einen Sinn für Konsens und Kompromissbereitschaft haben sowie interkulturelle Sensibilität mitbringen. Aufgrund unserer eigenen Erfahrungen mit der föderalistischen und mehrsprachigen Demokratie der Schweiz sind diese Fähigkeiten für viele Schweizerinnen und Schweizer nichts Neues.», schliesst Luca Urech. 

Natalie Kohli vor einem UN-Hubschrauber, der auf einer grünen Wiese hält.
Natalie Kohli arbeitet seit 2019 bei der UN-Mission in Kolumbien. © EDA

Schweizer Diplomatinnen bei der UNO: Einsatz in Kolumbien

«Ich bin kurz nach dem Schweizer UNO-Beitritt ins EDA eingetreten, und die UNO zieht sich gleichsam als roter Faden durch meine Karriere als Diplomatin. Die Schweiz hat einen ausgezeichneten Ruf und ein ausgewiesenes Profil in der UNO aufgrund ihrer Rolle als Brückenbauerin, ihres Engagements in einer breiten Palette von thematischen Dossiers sowie als Sitzstaat», sagt Natalie Kohli, Stabschefin der UNO-Friedensmission in Kolumbien (UNVMC).

In den internationalen Organisationen wie der UNO haben auch Schweizer Diplomatinnen zahlreiche Funktionen inne. Dort vertreten sie nicht die Schweiz, sondern bringen Werte, Expertise und Erfahrung als multilaterale Verhandler ein und leisten einen Beitrag zur Friedensagenda.  

Zum Thema, Natalie Kohli

Natalie Kohli ist seit Mai 2019 Stabschefin in der UNO-Friedensmission in Kolumbien (UNVMC) und direkt dem Sonderbeauftragten des Generalsekretärs unterstellt. «Die Mission wurde 2017 vom Sicherheitsrat ins Leben gerufen, um die Umsetzung des historischen Friedensabkommens zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerilla (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo) zu unterstützen», erklärt Natalie Kohli. Die Mission besteht aus knapp 600 Mitarbeitenden und hat zur Aufgabe, die Wiedereingliederung der FARC-Mitglieder in das politische, wirtschaftliche und soziale Leben zu verifizieren, ebenso wie die Umsetzung von persönlichen und kollektiven Sicherheits- und Schutzmassnahmen in nahezu allen Regionen Kolumbiens. «Als Stabschefin bin ich Mitglied der Missionsleitung und koordiniere alle missionsübergreifenden strategischen Prozesse, leite die Kommunikations- und Rechtsabteilung und stelle unter anderem sicher, dass die Mission die nötigen Ressourcen hat, um die politischen Prioritäten gemäss Mandat des Sicherheitsrates umzusetzen», sagt Natalie Kohli weiter.

Ein konkretes Beispiel für die Tätigkeit der Schweizerin ist der Besuch des UNO-Sicherheitsrates in Kolumbien im Sommer 2019, für dessen Organisation und Durchführung sie zuständig war. «Am eindrücklichsten war der Programmpunkt in der vom Konflikt stark betroffenen Cauca-Region, wo sich Ex-Guerillakämpfer wieder ins zivile Leben eingliedern. Der Sicherheitsrat konnte dort konkrete Landwirtschaftsprojekte besuchen, sich mit Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern unterhalten und sich vor Augen führen, wie ehemalige Kämpfer sich an Prozessen zur Wiederversöhnung mit Opfern des Konfliktes beteiligen.» Das Mandat der UNVMC wurde in der Folge bereits zweimal verlängert und Kolumbien gilt für den Sicherheitsrat als positives Beispiel für nachhaltige Friedensförderung.

Die UNO zieht sich gleichsam als roter Faden durch die Karriere von Natalie Kohli als Diplomatin. «Als langjährige multilaterale Verhandlerin bin ich es mir gewohnt, Kompromissvorschläge einzubringen und Konsens zwischen oft weit auseinanderliegenden Positionen zu fördern. Als ich meine Stelle in Kolumbien antrat, hatte ich fundierte Kenntnisse der UNO und der politischen Dynamiken unter den Mitgliedstaaten.»

Als Schweizerin einen Beitrag zur Friedensagenda der UNO leisten zu können, ist ein bereichernder Schritt in der Laufbahn von Natalie Kohli. «Meine Erfahrung in der Schweizer Diplomatie kommt mir jetzt zugute, da ich in meiner Funktion praktisch täglich vermitteln muss. Konkret geht es darum, im Spannungsfeld zwischen dem Hauptquartier in Bogotá und den Büros im Feld, sowie mit New York und den übrigen UNO-Programmen in Kolumbien ein gemeinsames Verständnis zu fördern.» Die Schweiz gehört zu denjenigen Mitgliedstaaten, welche die Reformbemühungen des UNO-Generalsekretärs mit grossem Interesse verfolgen und unterstützen. In diesem Zusammenhang spielt die  Geschlechterparität im UNO-Sekretariat eine wichtige Rolle. «So leite ich beispielsweise die Arbeitsgruppe der Mission, welche das vom UNO-Generalsekretär definierte Ziel der 50-50-Parität zwischen Frauen und Männern auf allen professionellen Niveaus umsetzt. Wir sind in Kolumbien bereits sehr nahe an diesem Ziel und haben sogar bei den Militärbeobachterinnen und -beobachtern eine Rate von 30 Prozent Frauen, was im Vergleich zu anderen Friedensmissionen aussergewöhnlich hoch ist», schliesst Natalie Kohli. 

Talia Wohl steht in einem Raum und spricht während einer Präsentation.
Der Einbezug von Frauen in Friedensprozesse ist ein wichtiges Thema in Talia Wohls Karriere. © EDA

Frauen in Friedensprozessen

«Die grosse Herausforderung ist, die grundlegenden, systemischen Fragen zu klären, die verhindern, dass Frauen effektiv und wirkungsvoll in der Prävention, der Bewältigung und der Lösung von Konflikten mitarbeiten können. Für den wirkungsvollen Einbezug von Frauen in Friedensprozessen braucht es vor allem politischen Willen», erklärt Talia Wohl, Mitarbeiterin in der Abteilung Frieden und Menschenrechte des EDA und Vertreterin der Schweiz im WPS Focal Points Network.

Frauen sind entscheidende Akteurinnen für Frieden und Sicherheit. Mit dieser Überzeugung engagiert sich die Schweiz für die Stärkung der Rolle der Frauen in Friedensprozessen und beteiligt sich an entsprechenden Initiativen regionaler und internationaler Organisationen wie der UNO, der OSZE oder der NATO. So haben sich beispielsweise auf Initiative des EDA mehrere Schweizer Diplomatinnen und Expertinnen für internationale Sicherheit in einem Netzwerk für Frauen in Friedensprozessen zusammengeschlossen (Swiss Women in Peace Processes, SWiPP). A propos Netzwerke: 2022 wird die Schweiz den Co-Vorsitz des Women, Peace and Security Focal Points Network übernehmen. 

Zum Thema, Talia Wohl

Das Women, Peace and Security Focal Points Network vereint derzeit 82 Mitgliedstaaten sowie internationale und regionale Organisationen (z. B. Afrikanische Union, Europäische Union, NATO, OSZE u.a.). «Das Netzwerk dient dem fachlichen, politischen und strategischen Austausch zur Umsetzung der Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit (WPS-Agenda) auf nationaler und internationaler Ebene», erklärt Talia Wohl.

Die ersten Schritte der Schweiz in Richtung Beteiligung der Frauen an Friedensprozessen gehen ins Jahr 2007 zurück. Die Schweiz gehörte damals zu den ersten Ländern, die einen Nationalen Aktionsplan (NAP 1325) zur Umsetzung der UNO-Resolution 1325 zu «Frauen, Frieden und Sicherheit» verabschiedet haben. Mittlerweile setzt die Schweiz ihren vierten NAP 1325 um und blickt auf ein langjähriges Engagement zurück, das die Umsetzung der WPS-Agenda mittels bilateraler Programme in verschiedenen Länderkontexten sowie auf multilateraler Ebene fördert», präzisiert Talia Wohl. Die Schweizer Expertin stiess 2020 mitten in der Pandemie zum WPS-Netzwerk. Dieses trotzte der Krise und führte weiterhin Treffen durch, wenn auch virtuell.

Die Schweiz übernimmt 2022 zusammen mit Südafrika den Vorsitz des Netzwerks. «Die Schweiz wird das Vorsitzjahr nutzen, um prioritäre Anliegen zur Agenda für Frauen, Frieden und Sicherheit voranzutreiben. Zu den Themenschwerpunkten gehören die effektive, gleichberechtigte und wirkungsvolle Beteiligung von Frauen in der Konfliktprävention und in Friedensprozessen, die Einbindung der Zivilgesellschaft und der Schutz vor sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt in Konflikt- und humanitären Kontexten.»

Zuvor arbeitete Talia Wohl als Schweizer Expertin im Rahmen einer Sekundierung für das Konfliktverhütungszentrum (KVZ) der OSZE als Mediation Support Officer. «Schweizer Expertinnen und Experten werden geschätzt. Sie bringen demokratische Werte, Neutralität, und ein Verständnis für die Prinzipien der Mediation mit.» Das Mediationsteam bietet OSZE-Vertreterinnen und -Vertretern, die an einem Mediations- oder Dialogprozess beteiligt sind, massgeschneiderte Unterstützung und Beratung. Eine der Herausforderungen ist die effektive, gleichberechtigte und wirkungsvolle Beteiligung von Frauen. «In den offiziellen Verhandlungsprozessen der OSZE stellen Frauen nur eine kleine Minderheit dar. Zum Beispiel waren seit den 1990er-Jahren unter den über 50 OSZE-Mediatorinnen und Mediatoren nur gerade drei Frauen dabei – übrigens zwei davon Schweizerinnen», sagt sie.

In der OSZE-Region bringen sich Frauen tendenziell eher in friedensfördernde Aktivitäten auf der lokalen Ebene ein, die wenig oder gar nichts mit den offiziellen Verhandlungen zu tun hat. Dies veranlasste Talia Wohl dazu, gemeinsam mit dem Mediationsteam und der OSZE-Gender-Sektion ein Toolkit zur Teilhabe von Frauen in Friedensprozessen zu entwickeln, das dann 2019 lanciert wurde. «Während der zweijährigen Entwicklungszeit haben wir praktische Massnahmen in drei Bereichen identifiziert: die substanzielle und direkte Teilnahme von Frauen am Verhandlungstisch; die Verbindung von informellen Friedensinitiativen mit offiziellen Verhandlungsprozessen und die Berücksichtigung einer Genderperspektive in den Verhandlungen.

Grosse Ziele – zahlreiche Herausforderungen für die Zukunft. «Die grosse Herausforderung ist, die grundlegenden, systemischen Fragen zu klären, die verhindern, dass Frauen effektiv und wirkungsvoll in der Prävention, der Bewältigung und der Lösung von Konflikten mitarbeiten können. Für den wirkungsvollen Einbezug von Frauen in Friedensprozessen braucht es vor allem politischen Willen», sagt die Expertin zum Schluss. 

Claudia Marti spricht an einem Rednerpult l während einer Konferenz in Libyen..
Claudia Marti hat während 13 Jahren in der Abteilung Frieden und Menschenrechte des EDA gearbeitet. Die Erfahrungen, die sie als Human Security Advisor in Kolumbien und Libyen gesammelt hat, kommen ihr bei ihrer jetzigen Tätigkeit zugute. © EDA

Konfliktprävention: die Rolle des Peace and Development Advisors

«Ein zentraler Pfeiler der Rolle eines Peace and Development Advisors ist die Unterstützung nationaler Initiativen zur Konfliktprävention, Friedenskonsolidierung und Friedenserhaltung, die von nationalen Akteuren getragen und implementiert werden», Claudia Marti, Peace and Development Advisor, Office of the UN Resident Coordinator in Bolivien.

Die internationale Zusammenarbeit der Schweiz trägt zur Konfliktprävention und Friedensförderung in fragilen Staaten bei. Die Fragilität eines Staates äussert sich in seiner Unfähigkeit, die Sicherheit und die Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten sowie eine konstruktive Beziehung zur Bevölkerung aufzubauen.

Die DEZA ist an mehreren Fronten auf der multilateralen Ebene aktiv, mit wichtigen Akteuren wie den Vereinten Nationen und der Weltbankgruppe. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) spielt eine zentrale und katalytische Rolle bei der Stärkung der UN in ihrer Arbeit Fragilität zu bekämpfen und Konflikte zu verhindern – zum Beispiel durch die Unterstützung des Pools von Peace and Development Advisors (PDA) in Zusammenarbeit mit dem UN Department of Political and Peacebuilding Affairs (DPPA), deren Expertinnen und Experten in fragile Länder entsandt werden, um die Regierungen der Gastländer und das UN-System vor Ort zu beraten und zu unterstützen.

Zum Thema, Claudia Marti

Nach dreizehnjähriger Tätigkeit in der Abteilung Frieden und Menschenrechte des EDA hat sich Claudia Marti entschlossen, sich für eine PDA-Stelle zu bewerben. Es gibt weltweit 108 solche Posten, davon 59 internationale. Seit Februar 2021 ist sie nun in Bolivien tätig. Was machen PDAs? «PDAs beraten die Resident Coordinators und das gesamte UN-Country-Team in Bezug auf Konfliktprävention, nachhaltigen Frieden sowie Strategien und Programme der Friedensförderung. Sie arbeiten mit dem DPPA und dem UNDP zusammen, um die politische und entwicklungspolitische Arbeit der UNO miteinander zu verknüpfen. Ein zentraler Pfeiler der Rolle eines PDAs ist die Unterstützung nationaler Initiativen zur Konfliktprävention, Friedenskonsolidierung und Friedenserhaltung, die von nationalen Akteuren getragen und implementiert werden. Diese nationale Ownership ist der Hauptfokus des gemeinsamen UNDP-DPPA-Programms und ein Schlüsselprinzip der Entwicklungsarbeit der UNO», erklärt Claudia Marti.

Die UNO und Bolivien haben 2019 ein Programm zur Konsolidierung des Friedens unterzeichnet, dessen zweite Phase im Dezember 2020 begann. Die UNO leistet konkrete Unterstützung in drei Bereichen: Wahlen; Menschenrechte und Gender; Dialogprozesse und Versöhnung. Claudia Marti engagiert sich besonders für den dritten Bereich. Workshops in Conflict Sensitivity für das UNO-Country-Team sowie für nationale Partner, Unterstützen von Dialogprozessen, Mitarbeit bei der regionalen Initiative zu «Climate Security», Erstellen von politischen und Konfliktanalysen: Dies sind nur ein paar Beispiele von Aktivitäten, mit denen sich Claudia Marti vor Ort beschäftigt – auch virtuell angesichts der Covid-19-Pandemie.

Die Erfahrungen, die sie beim EDA als Human Security Advisor in Kolumbien und Libyen gesammelt hat, kommen ihr bei ihrer jetzigen Tätigkeit zugute. «Ich konnte mir solides Fachwissen in der Friedensförderung, Konfliktprävention und Vergangenheitsarbeit aneignen. Auch die praktische Erfahrung in der Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und Regierungsvertreterinnen hilft mir heute. In Kolumbien unterstützte ich die Implementierung eines Friedensförderungsprogramms, das Brücken zwischen Grassroots-Organisationen und staatlichen Instanzen schlug. Diese Erfahrung hat mich sehr bereichert. Zudem nimmt die Schweiz im Ausland oft eine Koordinationsfunktion ein, auch diese Erfahrung hilft mir heute. Die Schweiz als kleine Akteurin bringt häufig neue Ideen und Innovation ein, diese Einstellung kommt mir in einer grossen Organisation wie der UNO sicher auch zugute», führt Claudia Marti aus.

Vor ihrem Eintritt ins EDA war Claudia Marti in nicht staatlichen und halbstaatlichen Organisationen tätig. Sie konnte sich Erfahrungen in der engen Zusammenarbeit mit Menschenrechtsverteidigerinnen und Basisorganisationen aneignen. «Zudem konnte ich die Organisationen in ihrer Fähigkeit, Politikvorschläge zu formulieren und einzubringen, stärken.»

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