Ins Licht der Gewissheit

Vom 14. bis 25. Oktober 2024 reist eine Expertengruppe der «Ecole des Sciences Criminelles» (ESC) der Universität Lausanne nach Serbien und Kosovo, um den Einsatz neuer Technologien bei der Suche nach vermissten Personen aus der Zeit unmittelbar vor, während und nach dem Kosovo-Konflikt zu prüfen. Der Expertenbesuch erfolgt im Rahmen eines Mandats der Abteilung Frieden und Menschenrechte des EDA und ist ein Beitrag der Schweiz zur Umsetzung der «Erklärung zu vermissten Personen», welche am 2. Mai 2023 von Serbien und Kosovo verabschiedet wurde.

Eine Drohne mit LiDAR-Technologie schwebt über einem Feld.

Eine Drohne mit LiDAR-Technologie schwebt über einem Feld, um Umgebungsdaten für 3D-Kartierungen zu erfassen. © EDA

Nach dem Ende des Kosovo-Konflikts galten ungefähr 4500 Personen als vermisst. Bis heute fehlt von mehr als 1600 Personen jede Spur. Die Ungewissheit über das Schicksal von vermissten Personen ist für Angehörige eine grosse Belastung. Die Frage nach Vermissten bleibt eine langfristige Kriegsfolge, denn Trauerarbeit ist für Angehörige ohne absolute Gewissheit nicht möglich. Für Betroffene ist es deshalb wichtig zu erfahren, was ihren Angehörigen widerfahren ist.

Die Ungewissheit über das Schicksal von vermissten Personen kann auch verheerende und langanhaltende Folgen für Gemeinschaften haben. Diese werden daran gehindert, mit der Vergangenheit abzuschliessen. Dies kann zur Spaltung ganzer Gesellschaften führen.

Normalisierungsprozess zwischen Serbien und Kosovo

Die Schweiz setzt sich für die Aufarbeitung der Kriegsfolgen in Serbien und Kosovo ein und unterstützt sie bei der Umsetzung der «Erklärung zu vermissten Personen». Die Erklärung wurde am 2. Mai 2023 in Brüssel vom serbischen Präsidenten, Aleksander Vučić, und dem kosovarischen Premierminister, Albin Kurti, verabschiedet. Sie sieht die Förderung einer engen Zusammenarbeit vor, insbesondere den vollständigen Zugang zu verlässlichen und genauen Informationen sowie Kooperation bei der Identifizierung und Untersuchung von Gräbern. Ziel ist die Lokalisierung, Bergung und Identifizierung der Überreste von Personen, die zwischen 1998 und 2000, vor, während und unmittelbar nach dem Konflikt, verschwunden sind.

EU-Normalisierungsprozess

Die gemeinsame Erklärung zu den vermissten Personen ist Bestandteil des Ohrid-Abkommens von 2023, welches die nachhaltige Normalisierung der Beziehung zwischen Serbien und Kosovo vorsieht. Diese befinden sich seit 2011 in einem von der EU moderiertem Dialog, den die Schweiz unterstützt. Eine nachhaltige Normalisierung der Beziehung trägt zur regionalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit und zur Stabilisierung der Region bei.

Laserscanning (LiDAR)

Die vorgesehene Zusammenarbeit umfasst den Einsatz von Satellitendaten und neuen Technologien wie LiDAR (Laserscanning = ‘Light Detection and Ranging’). Die optische Fernerkundungstechnik LiDAR wird zur Erstellung hochauflösender Landkarten mit Anwendungen unter anderem in den Bereichen wie Vermessung, Archäologie, Geographie, Geologie, Seismologie, Meteorologie und Forstwirtschaft genutzt. Mit Hilfe von luftgestütztem Laserscanning durch Drohnen soll sie nun auch bei der Suche nach vermissten Personen eingesetzt werden. Dieser LiDAR-Testeinsatz in Serbien und Kosovo hat seinen Ursprung in einem der «Dealing with the Past Dialogues», welche die AFM mit Swisspeace organisierte. 

Dealing with the Past Dialogues

Jährlich organisiert die AFM zusammen mit Swisspeace die achttägigen «Dealing with the Past Dialogues» (DwP Dialoge) in der Schweiz. Diese Dialoge bieten Entscheidungsträgerinnen und -trägern wie auch Fachleuten die Möglichkeit, sich auf die Gestaltung sowie Umsetzung umfassender Ansätze für die Vergangenheitsarbeit zu konzentrieren. Die Reflexion über die politische Dimension der Vergangenheitsarbeit sowie die Einbettung dieser in Friedensbemühungen sind neben der Vermittlung von fundiertem Wissen über die Konzepte und Mechanismen der Vergangenheitsarbeit ein wichtiger Bestandteil der DwP-Dialoge.

Beim Laserscanning werden Laserimpulse in die Umgebung gesendet. Trifft ein solcher Laserstrahl auf ein Objekt, wird dieser an den Sensor zurückreflektiert. Die benötigte Zeit des Laserstrahls von der Quelle zum Objekt und wieder zurück wird von LiDAR gemessen. Damit können in kürzester Zeit präzise Messungen auf einem vorher definierten Gelände durchgeführt werden. Der Erfolg solcher Messungen hängt einerseits von Witterungsbedingungen ab, andererseits können seit dem Ereignis eingetretene Geländeveränderungen wie beispielsweise durch bauliche Tätigkeiten, das Resultat beinträchtigen.

Eine Expertengruppe der ESC beim Einsatz.
Eine Expertengruppe der ESC testet in Serbien und Kosovo den Einsatz neuer Technologien bei der Suche nach vermissten Personen. © EDA

Expertenmission in Serbien und Kosovo

Die Anwendbarkeit der LiDAR Technologie bei der Suche nach vermissten Personen befindet sich noch in der Validierungsphase. Zu diesem Zweck wurde die Expertise der Ecole des Sciences Criminelles (ESC) der Universität Lausanne hinzugezogen. Denn die ESC ist führend im Bereich der Entwicklung und Anwendung dieser Technologie. 2023 wurden in einem ersten Schritt die Einsatzgebiete, Erwartungen und Bedürfnisse der Mission während eines Besuchs der serbischen und der kosovarischen Regierungskommission für vermisste Personen an der ESC analysiert und festgehalten. Dieser Austausch bildete die Grundlage für den Besuch der ESC-Experten und Expertinnen in Serbien und Kosovo zwischen dem 14. und 25. Oktober 2024.

Bodenradargerät (GPR)

Während der Expertenmission wird neben der Fernerkundungstechnik LiDAR ergänzend auch die geophysikalische Erkundungsmethode des Bodenradars (GPR = «Ground Penetrating Radar») eingesetzt. Dieser erlaubt die Charakterisierung des Untergrundes mit hochfrequenten elektromagnetischen Wellen, um beispielsweise bei schlechten Wetterbedingungen, die den Gebrauch von LiDAR einschränken, dennoch Bodenerkundungen vorzunehmen. Die erfassten Daten, werden direkt vor Ort verarbeitet und es erfolgt eine Zusammenfassung der durchgeführten Massnahmen im Rahmen eines Berichts sowie die Bereitstellung einer Ergebnisanalyse. Ein weiteres Ziel der Mission ist es, das allgemeine Potential dieser Technologie für die Suche nach Vermissten abzuschätzen. Schliesslich bietet die Mission auch die Gelegenheit, sich über technische Fragen des LiDAR-Einsatzes auszutauschen und auf technischer Ebene den Dialog zwischen den serbischen und kosovarischen Experten der beiden Kommissionen zu fördern.

Ein Bodenradar beim Erfassen von geophysikalische Daten.
Der Bodenradar erfasst geophysikalische Daten zur Charakterisierung des Untergrunds mithilfe hochfrequenter elektromagnetischer Wellen. © EDA

Gewissheit für einen dauerhaften Frieden

Die Suche nach vermissten Personen und deren Identifikation sind ein wichtiger Arbeitsbereich der internationalen Zusammenarbeit der Schweiz. Als Bestandteil der humanitären Diplomatie und der Friedensförderung ist die Suche nach vermissten Personen und deren Identifikation ein Schwerpunktthema der Abteilung Frieden und Menschenrechte (AFM) des EDA. Sie ist ein Teil der Vergangenheitsarbeit und ein humanitärer Beitrag zur Konfliktlösung. Das Vertrauen in der Gesellschaft kann durch die Suche nach vermissten Personen wiederhergestellt werden sowie Konfliktlinien innerhalb der Gesellschaft überwunden werden. Durch die gemeinsame Aufarbeitung der Vergangenheit entstehen Kommunikationskanäle, die für allfällige künftige Dialoge genutzt werden können. 

Die Schweiz unterstützt auf Anfrage die Umsetzung von Initiativen zur Vergangenheitsarbeit durch Beratung und Unterstützung von Staaten sowie die Begleitung von politischen Prozessen. So ist die Aus- und Weiterbildung von Expertinnen und Experten, wie auch die Entwicklung neuer Ideen und Konzepte fester Bestandteil der Schweizer Aktivitäten im Rahmen der Suche nach vermissten Personen.

Schweizer Aktivitäten im Westbalkan

Die Schweiz ist seit Mitte der 90er Jahre im Westbalkan aktiv. Der heutige Fokus der AFM liegt in Kosovo und wird im Rahmen des Schweizer Kooperationsprogramms für Kosovo 2022-2025 umgesetzt. Die AFM setzt sich für die Normalisierung der Beziehung zwischen Kosovo und Serbien ein, indem sie in Zusammenarbeit mit der Organisation «Council for Inclusive Governance» (CIG) eine Dialogplattform zur Verfügung stellt, wo sich hochrangige serbische und kosovarische Vertreter politischer Parteien vertraulich treffen und Ideen für eine wirksame Normalisierung der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien austauschen. Neben diesem sogenannten «Solothurn-Prozess» setzt sich die AFM für den Schutz der Rechte von Gemeinschaften und die Verbesserung der Beziehungen zwischen diesen ein, indem sie beispielsweise staatliche Institutionen bei der Verbesserung der Qualität von offiziellen Übersetzungen in die Landessprachen unterstützt. Der letzte Schwerpunkbereich bildet die Förderung von inklusiver Aufarbeitung der Vergangenheit. 

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