Artikel, 09.09.2014

Die Wasserkrise und ihre Auswirkungen auf den Zugang zu Wasser, auf die Ernährungssicherheit und die ländliche Wirtschaft ist eine der Hauptursachen des Konflikts in Syrien. Eine gemeinsame und wirksame Bewirtschaftung der Wasserressourcen kann aber auch zur Versöhnung beitragen. Vor diesem Hintergrund hat die DEZA zusammen mit dem Hochschulinstitut für Internationale Studien und Entwicklung in Genf (IHEID) einen Bericht über die Wassersituation und die Lage der vertriebenen Bevölkerungsgruppen in der strategischen Region des Orontes-Flussbeckens in Auftrag gegeben.

Der Orontes-Fluss, nahe der Grenze zwischen Syrien und dem Libanon.

Das Einzugsgebiet des Orontes-Flusses, der den Westen Syriens von Süden nach Norden durchquert, gehört zu den Regionen, die am stärksten von dem Konflikt betroffen sind, der das Land seit 2011 erschüttert. Die öffentliche Wasserinfrastrukturen und -netze sind für die territoriale Kontrolle zentral. Aufgrund der strategischen Bedeutung des Flussbeckens kam es zu massiven Zerstörungen und Bevölkerungsbewegungen. Zwei Drittel der vier Millionen Einwohnerinnen und Einwohner dieser Region mussten in den vergangenen drei Jahren fliehen. Die Sanierung der Infrastruktur und das Wassermanagement werden nicht nur die Not der betroffenen Bevölkerung lindern, sondern auch bei einem künftigen Versöhnungsprozess eine entscheidende Rolle spielen. Ohne eine funktionierende Infrastruktur ist an eine Rückkehr der Vertriebenen nicht zu denken.

Der Bericht «Syria: The impact of the conflict on population displacement, water and agriculture in the Orontes river basin», der von syrischen Fachleuten vor Ort erstellt und von der DEZA und dem IHEID koordiniert wurde, legt eine detaillierte Erhebung der vertriebenen Bevölkerungsgruppen, des Trinkwasserzugangs sowie des Zustandes der häuslichen und landwirtschaftlichen Wasserinfrastruktur in der Region vor. Der Bericht ist Teil des von der Schweiz mitinitiierten Wasserdiplomatie-Projekts «Blue Peace», welches vom Gedanken ausgeht, dass Völker, die das Wasser gemeinsam bewirtschaften, in Frieden miteinander leben.

Gespräch mit Christophe Bösch, Programmbeauftragter des Globalprogramms Wasserinitiativen der DEZA

Ein ausgetrockneter Kanal nach der Zerstörung der Infrastruktur stromaufwärts © DEZA

Der Bericht zuhanden der DEZA enthält viele Karten und Informationen über den Zugang zu Trinkwasser, die Bewässerungssysteme und die Bevölkerungsbewegungen im Einzugsgebiet des Orontes-Flusses. Welches ist ihr Nutzen?
Diese Instrumente könnten zu einem effizienteren Wassermanagement nach dem Konflikt führen. Es kommt vor, dass man nach einer Krise innerhalb von zwei Wochen die Bedürfnisse ermitteln und einen Aktionsplan ausarbeiten muss. Das ist sehr schwierig, wenn die Daten fehlen. Deshalb ist es wichtig, dass diese Informationen zusammengetragen und gesichert werden.

An wen richtet sich der Bericht?
In erster Linie an die Syrerinnen und Syrer, seien dies zivilgesellschaftliche Kreise, lokale Behörden, Techniker oder Ingenieure, die das Land stabilisieren und Lösungen finden möchten. Diesen Personen kommt eine wichtige Rolle zu und ihre Motivation ist echt. Deshalb liegt es in unser aller Interesse, sie zu unterstützen. Dann sind diese Karten und Informationen auch wichtig für die internationale Gemeinschaft, die in Syrien auf humanitärem Gebiet tätig ist. Dadurch können dauerhaftere Interventionen in den Regionen geplant werden, in denen wieder eine gewisse Ruhe eingekehrt ist. Schliesslich sind die Angaben in dem Bericht auch wertvoll für die schweizerische Regierung in ihrem Bemühen, das Konfliktpotenzial der Wasserbewirtschaftung zu verstehen.

Dieses Projekt ist für Sie für zukunftsträchtig …
Ja, denn hinter diesen aktualisierten Karten und Daten stehen Menschen. Der Bericht soll ihnen die Mittel geben, um arbeiten zu können. Mit dieser Art von Unterstützung zeigt die Schweiz sich solidarisch gegenüber jenen, die trotz der kritischen Lage vor Ort ausharren wollen.

Wann wurde das Datenerhebungsprojekt lanciert?
Das Projekt wurde vor Beginn der Feindseligkeiten im Jahr 2011 geplant. Am Anfang stand die Absicht, Unterlagen im Hinblick auf das Blue-Peace-Programm zu sammeln. Einige Flussbecken, wie zum Beispiel jenes des Jordan, sind gut erforscht. Andere dagegen, wie das Flussbecken des Orontes, sind es praktisch nicht. Das Projekt wurde Anfang 2012 nach dem Ausbruch des Konflikts gestartet, und man beschloss, mit Unterstützung durch ein informelles Expertennetzwerk auf der syrischen Seite des Beckens, mit der Erhebung fortzufahren.

Weshalb ist eine gute Bewirtschaftung der Wasservorkommen eine wichtige Voraussetzung für den Versöhnungsprozess im Orontes-Becken?
Zunächst muss man sich über die Ausgangslage im Klaren sein. Das Wassermanagement im Einzugsgebiet des Orontes war einer der Faktoren, die zum Konflikt beigetragen haben. In den letzten zwei Jahrzehnten ist das Landwirtschaftssystem allmählich zusammengebrochen und hat zur Destabilisierung des Syrischen Systems beigetragen. Zudem war der Agrarsektor, der stark von Bewässerung abhängt, in der Mitte der 2000er Jahre mit mehreren Dürrejahren konfrontiert. Tausende von Bauern waren betroffen, was zu sozialer Instabilität führte.

Wie dem auch sei: So wie Wasser einen Konflikt verschärfen kann, so kann es auch ein Mittel der Versöhnung sein. Vor allem in einer Gesellschaft, die stark von einer ihrerseits auf Wasser angewiesenen Landwirtschaft und Industrie abhängig ist. Ein wirtschaftlicher Einsatz der Ressourcen kann ein Wachstumsmotor sein. Andererseits ist die Garantie eines gerechten Zugangs zu Wasser für alle eine phänomenale Voraussetzung für Stabilität in einem Land. Bevölkerungskreise, die vorher vielleicht marginalisiert waren, fühlen sich plötzlich integriert und von den Behörden unterstützt. Oft ist das der Moment, in dem ein eigentliches Gefühl von Bürgerschaft geweckt wird. Und Bürger sein geht einher mit dem Wunsch nach Stabilität des Landes.

Ist es aufgrund des Berichts, der im Auftrag der DEZA erstellt wurde, bereits zu Kontakten zwischen verschiedenen Gemeinschaften gekommen?
Interessant ist, dass die Menschen durch das Blue-Peace-Projekt weiterhin miteinander sprechen können, mindestens auf fachlicher Ebene. Ausserdem bot die Erstellung des Berichts Gelegenheit, Kontakte zwischen dem Netz von Organisationen der syrischen Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen wie der UNO oder der Weltbank zu schaffen. Dies ist umso wichtiger, als diese Kreise in Syrien zahlreiche Interessen im Wasserbereich vertreten und weil die syrische Zivilgesellschaft darin auch nach dem Konflikt eine wichtige Rolle spielen soll.

Letzte Aktualisierung 13.01.2023

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