«Unser Ziel ist eine sichere und berechenbare Zukunft für die Arktis»
Neben ihrem Beitrag zur Polarforschung setzt sich die Schweiz auch auf diplomatischer Ebene für eine friedliche und nachhaltige Entwicklung in der Arktis ein. Über das Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP) stärkt sie den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren in der Polarregion. Der Gründer und Moderator der inoffiziellen Dialogplattform «High North Talks», Paul Dziatkowiec, berichtet von seiner Arbeit beim GCSP.

Die rasche Erwärmung und das Auftauen des Permafrosts verändern die arktische Landschaft und ihre Ökosysteme tiefgreifend. © Unsplash, Jacek Urbanski
Der Schutz und eine nachhaltige Entwicklung der Arktis steht sowohl beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik, das vom EDA unterstützt wird, als auch bei der Polarforschung der Schweiz im Vordergrund. Was die beiden verbindet: die Wissenschaftsdiplomatie. Sie fördert die Zusammenarbeit zwischen Forschenden und kann dadurch auch die Beziehungen zwischen Ländern verbessern – der Arktische Rat ist ein gutes Beispiel dafür.
Gute Dienste
Obwohl das Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik kein offizieller Akteur im Arktischen Rat ist, leistet es, ganz im Sinne der Guten Dienste der Schweiz, einen Beitrag zu stabilen und friedlichen Beziehungen in der Arktis.
Das Zentrum fördert den Wissenstransfer, den Aufbau von Netzwerken und die Entwicklung gemeinsamer Strategien unter den Akteuren in der Polarregion. Ein Gefäss des GCSP dafür sind die «High North Talks», eine inoffizielle Dialogplattform für eine friedliche Zusammenarbeit in der Arktis

Herr Dziatkowiec, welches Ziel verfolgt das GCSP in der Arktis?
Unser Ziel ist es, zu einer sichereren und berechenbareren Zukunft der Arktis beizutragen. Angesichts der schwerwiegenden internationalen Umwälzungen, die durch den Krieg Russlands in der Ukraine ausgelöst wurden, steht die Arktis vor dringenden Problemen, die gemeinsame Lösungen erfordern – in den Bereichen Sicherheit, Wissenschaft und Gouvernanz. Bedauerlicherweise bietet die derzeitige internationale Dynamik nur wenige Möglichkeiten für konstruktive Diskussionen.
Im Jahr 2022 haben wir aus diesem Grund in der Schweiz einen diskreten Raum für einen solchen Dialog geschaffen, einen der wenigen Orte, an denen Vertreterinnen und Vertreter der involvierten Länder konstruktiv und in Ruhe über die Herausforderungen der Arktis diskutieren können. Durch die Förderung des Dialogs versuchen wir, gemeinsame Interessen zu definieren, Vertrauen aufzubauen und praktische Lösungen zu finden.
Wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor?
Die High North Talks (HNT) sind eine inoffizielle Dialogplattform, die relevante Personen jener Staaten zusammenbringt, die am stärksten in der Arktis engagiert sind. Wir nutzen die Instrumente der Diplomatie und Mediation, um einen diskreten Dialog zwischen gut vernetzten Personen aus diesen Staaten zu ermöglichen. Durch die Einhaltung der Chatham-House-Regel schützen wir die Teilnehmenden, was einen konstruktiven und offenen Austausch fördert.
Im Wesentlichen erarbeiten wir gemeinsam kreative politische Ideen, darunter vertrauensbildende Massnahmen. Wir versuchen, die Staaten zu einer Kompartimentalisierung zu ermutigen, das bedeutet, dass sie ein gewisses Mass an Zusammenarbeit bei dringenden Fragen, die die Arktis betreffen, zulassen, auch wenn sie in anderen Bereichen weltweit weiterhin unterschiedliche Standpunkte vertreten.
Welche Rolle kann die Wissenschaftsdiplomatie im arktischen Kontext spielen?
In der Wissenschaftsdiplomatie liegt vielleicht die grösste Hoffnung für eine Erneuerung der Zusammenarbeit über geopolitische Grenzen hinweg. Es sei daran erinnert, dass die Wissenschaftsdiplomatie während des Kalten Krieges eine Zusammenarbeit ermöglichte, die zur Ausrottung der Pocken und zur Schließung des Ozonlochs führte.
Wir fokussieren hauptsächlich auf das Problem des beschleunigten Auftauens des Permafrostbodens. Dies könnte zur Freisetzung von Milliarden Tonnen Kohlenstoff in die Atmosphäre, zu einem gravierenden Verlust der biologischen Vielfalt, zu grossflächigen Schäden an der physischen Infrastruktur und möglicherweise zu Epidemien führen. Um diese Risiken zu mindern, bringen wir führende Fachleute zu diesem Thema zusammen, um konkrete politische Vorschläge für Regierungen zu erarbeiten.
Gibt es Resultate?
Wir haben Kommunikationskanäle geschaffen, um in einem geschützten Rahmen informell Nachrichten auszutauschen und das gegenseitige Verständnis zu verbessern. Darüber hinaus haben wir in drei separaten, aber miteinander verbundenen Arbeitsabläufen (Sicherheit, Wissenschaft/Umwelt und Governance) Kernbotschaften und umsetzbare politische Ideen entwickelt. Dazu gehören Vorschläge für vertrauensbildende Massnahmen, die Einrichtung von «Leitplanken» und konkrete Ideen für die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit in Bereichen, in denen es am dringendsten erforderlich ist, wie z.B. beim Umweltschutz oder bei der Sicherheit des Seeverkehrs – zum Wohle der Welt, nicht nur der Arktis. Diese Ideen wurden den Entscheidungsträgern in den jeweiligen Hauptstädten durch direkte Gespräche, Arktis-Konferenzen und gegebenenfalls durch öffentliche Mitteilungen übermittelt.
Das Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GSCP)
Das «Geneva Centre for Security Policy» mit Sitz in Genf ist eine internationale Stiftung, die 1995 zur Förderung von Frieden, Sicherheit und Stabilität von der Schweiz gegründet wurde. Neben einer Dialogplattform bietet das GCSP ein Weiterbildungsprogramm für Führungskräfte an, vernetzt und berät Expertinnen und Experten und betreibt angewandte Forschung.
Der Bund unterstützt das GCSP finanziell gestützt auf ein Mandat des Parlaments. Die Gouvernanz des Zentrums leigt beim Stiftungsrat, wo neben der Schweiz weitere 54 Staaten vertreten sind. Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik ist der Schweizer Botschafter Thomas Greminger.
Instrumente der Schweizer Aussenpolitik – Gute Dienste
Die Guten Dienste der Schweiz haben eine lange Tradition. Sie sind und bleiben ein wichtiger Bestandteil ihres aussenpolitischen Profils. Sie umfassen drei Bereiche: Schutzmachtmandate der Schweiz, die Schweiz als Gastgeberin für Friedensverhandlungen sowie die Schweiz als Dialog-Fazilitatorin, Mediatorin und Vermittlerin. Die Schweiz setzt ihre Guten Dienste dort ein, wo ihre Interessen tangiert sind, sie Wirkung erzielen kann und eine Nachfrage besteht.