Entwicklungszusammenarbeit und Forschung: Ein erfolgsversprechendes Modell

Das Programm r4d der DEZA und des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) wurde am 25. April 2024 abgeschlossen. Bei dieser Gelegenheit lancierten die beiden Institutionen auch das neue Nachfolgeprogramm SOR4D. Beide Programme fokussieren auf die Bereiche Gesundheit, Ernährungssicherheit, soziale Konflikte, Ökosysteme, Arbeit und Einkommen in Entwicklungsländern. Odile Robert von der DEZA gibt im Interview Einblick in das vergangene und das zukünftige Programm.

Eine Gruppe von Frauen arbeitet in Tansania an einem Tisch. Auf dem Tisch sind Papiere ausgelegt.

Gruppendiskussion mit Frauen, die in der Nähe einer industriellen Goldmine in Tansania leben. © SNF

Das «Swiss Programme for Research on Global Issues for Development» (r4d-Programm) der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und des Schweizerischen Nationalfonds finanzierte von 2012 bis 2023 Forschungspartnerschaften zwischen der Schweiz und Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika. Es wurden innovative Initiativen lanciert und Lösungen präsentiert und auf die politische Agenda gesetzt. Viele dieser Projekte haben neues Wissen und neue Lösungen hervorgebracht, die in ihren Partnerländern bedeutende Auswirkungen hatten. Mit einem Gesamtbudget von 97 Millionen Franken wurden 57 Forschungsprojekte in über 50 Ländern unterstützt. 

Porträt von Odile Robert.
Odile Robert ist Chefin der Sektion Analyse und Forschung bei der DEZA. © DEZA

Wie kam es vor 10 Jahren zur Lancierung des Swiss Programme for Research on Global Issues for Development (r4d-Programm)? Was hat sich die DEZA damals davon versprochen?

Die DEZA und der SNF verbindet eine jahrzehntelange Partnerschaft. Das r4d-Programm wurde zu einer Zeit lanciert, als die Millenniumsentwicklungsziele (Millenium Development Goals, MDG) durch die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) abgelöst wurden und die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verhandelt wurde. Die Welt stand schon damals vor grossen globalen Herausforderungen (Klimakrise, Biodiversitätskrise und grosse politische Umbrüche wie der Arabische Frühling, um nur einige zu nennen). Es gab damals auch Hoffnung und Aufbruchsstimmung (Abschluss des Pariser Abkommens, Verabschiedung der Agenda 2030, Demokratisierungsbestrebungen etc.). Die DEZA wollte mit ihrem Forschungsprogramm einen direkten Beitrag zur Erreichung dieser globalen Ziele leisten. Gemeinsam mit dem SNF hat die DEZA Pionierarbeit geleistet: r4d war «seiner Zeit voraus», wie die kürzlich abgeschlossene externe Evaluation des Programms feststellte. Mit «Horizon 2030» lancierte die Europäische Union anschliessend ein ähnlich konzipiertes Programm.

In welchen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit konnte die DEZA die Forschungszusammenarbeit besonders nutzen? Können Sie anhand von drei Beispielen illustrieren, wie die DEZA Ansätze oder Ergebnisse aus der Wissenschaft eingesetzt hat, um ihre Ziele wirksamer zu erreichen?

Im r4d-Programm wurden Projekte in den Bereichen Gesundheit, Ernährungssicherheit, soziale Konflikte, Ökosysteme, Arbeit und Einkommen umgesetzt. Innovative Initiativen wurden lanciert, evidenzbasierte Lösungen präsentiert und auf die politische Agenda gebracht, und lokal, national oder global verankert. Viele dieser Projekte brachten neues Wissen und Lösungen hervor, welche nicht nur die Arbeit der DEZA prägen sondern auch in ihren Partnerländern wirksam sind. Anbei einige Beispiele:

  • Berufsbildung zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Nepal: In Nepal hat ein Forschungsprojekt analysiert, wie das Schweizer Berufsbildungssystem in ressourcenarmen Ländern genutzt werden kann. Dabei wurde eine Lücke zwischen Grundbildung und den Anforderungen im Arbeitsmarkt festgestellt. Diese konnte mittels eines neuen Masterstudiengangs geschlossen werden. Dieser Wissenstransfer hat ferner geholfen einschlägige Politiken zu reformieren und die Chancen zahlreicher junger Menschen auf eine bessere Arbeit zu erhöhen.
  • Nachhaltiges Baumaterial aus Kokosnussfasern auf den Philippinen: Im Rahmen eines r4d-Projekts wurde ein nachhaltiges Baumaterial aus Kokosfasern entwickelt, um der grossflächigen Abholzung der Wälder auf den Philippinen entgegenzuwirken und gleichzeitig erschwinglichen Wohnraum zu schaffen. Das r4d-Projekt half jungen Erfinderinnen und Erfindern, ein nachhaltiges Geschäft für «Cocoboards» zu entwickeln, eine innovative und zu 100% biobasierte Platte, die aus Kokosschalen hergestellt wird, und 10-20% günstiger als das günstigste auf den Philippinen verfügbare Holz sein soll. Es ist geplant, die Lieferkette auszubauen, um diese Platten kommerziell verfügbar zu machen und in andere Länder zu expandieren. Dies ist die bisher erste derartige industrielle Verwendung von Kokosschalenfasern.
  • HIV-Prävention und Versorgung in Lesotho: In Lesotho lebt nach wie vor ein Viertel der Erwachsenen Personen mit HIV. Der Zugang zu Tests und Therapie ist eine grosse Herausforderung für jene Menschen, die in ländlichen, weit abgelegenen Regionen leben. Im Rahmen eines r4d-Projekts wurden mehr als 10’000 Menschen durch eine gezielte Tür zu Tür Kampagne auf HIV getestet und mit Medikamenten versorgt. Eine HIV-Datenbank wurde eingerichtet und die lokale Gesundheitsinfrastruktur ausgebildet. Zudem ist es den Forschenden gelungen, ihre Erkenntnisse in die nationale Gesundheitsstrategie zu integrieren und in die Richtlinien der WHO einzugeben, so dass das Forschungsprojekt aus Lesotho weit über die Landesgrenzen hinaus Wirkung erzielt.
  • Nachhaltige Zementproduktion in Indien und Kuba: Im Rahmen einer r4d-Forschung hat die EPFL eine Ton-basierte Zusammensetzung für Zement getestet und adaptiert, welche heute als Standard für die Zementproduktion weltweit massgebend ist. Basierend auf den Erkenntnissen aus der Forschung wurde der geltende Standard für die Zementproduktion in Europa, den USA, Kuba und weiten Teilen Südamerikas und Indien angepasst. Dadurch werden Emissionen stark reduziert – die Zementproduktion macht weltweit zwischen 5-8% der globalen Emissionen aus – und ein Beitrag zur Erreichung des SDG Ziels 13 geleistet. Auch Holcim (en) verwendet heute diese Art von Zement. Die Projektleiterin Karen Scrivener jüngst vom UNO Generalsekretär in die Gruppe der 10 hochrangigen Vertreterinnen und Vertreter (en) zur Umsetzung der Agenda 2030 ernannt.
Zwei Männer sitzen am Rand eines Kraters in Simbabwe und unterhalten sich.
Dialog zwischen Arbeitern und Forschern in einem Tagebau in Simbabwe. © SNF

Wie muss man sich die Zusammenarbeit mit Forschung und Wissenschaft vorstellen? Formuliert die DEZA Projektziele – und die Wissenschaft sucht nach Wegen, um diese Ziele mit innovativen Ansätzen zu erreichen? Oder sucht die DEZA aus wissenschaftlichen Trends oder Ergebnissen aus, was sie für ihre Projekte nutzen könnte?

Das letztere ist der Fall. In der Schweiz hat die Forschungsfreiheit eine lange Tradition. Die DEZA und der SNF geben Themenbereiche vor und stecken die Rahmenbedingungen ab. Die Forschenden entscheiden frei in welchen Ländern des globalen Südens und zu welchen Themen sie forschen. Dann durchlaufen alle Projekte einen strikten Evaluationsprozess nach den Regeln des SNF.

Das Forschungsprogramm der DEZA erlaubt es, innovative Ansätze und Wissen zu generieren und zu testen. Innovation ist immer mit einem höheren Risiko verbunden, da nicht alles planbar ist und es vorkommen kann, dass die gewünschten Ergebnisse nicht erzielt werden. Aus Erfahrung legt das r4d-Programm grossen Wert auf die verständliche Kommunikation und die Vermittlung von Forschungsresultaten und es ist zentral, die Forschungsresultate einem grossen Publikum zugänglich zu machen («open source»).

Wie viele Projekte hat die DEZA mit Forschungspartnern im Rahmen des Forschungsprogramms unterstützt?

Im Rahmen des r4d-Programms haben die DEZA und der SNF insgesamt 57 Forschungsprojekte in über 50 Ländern unterstützt. Dank dieser Projekte sind Schweiz-Süd Partnerschaften und Netzwerke entstanden, welche noch heute bestehen. Wie auch in den oben dargelegten Beispielen, haben viele dieser Projekte eine Anschlussfinanzierung gefunden oder werden in einem anderen Rahmen weiterverfolgt.

Neben den konkreten Projektergebnissen war ein wichtiger Beitrag des r4d-Programms, die Kapazitäten von Forschenden aus dem Globalen Süden und Norden zu stärken. Durch das r4d-Programm wurden mehr als 200 Nachwuchswissenschaftler in internationalen Forschungssettings ausgebildet und die Teilnahme am Programm hat sich laut einer externen Evaluation positiv auf die Karriereentwicklung von mehr als 90% der Projektteilnehmenden aus dem Globalen Süden ausgewirkt.

Welche Erfahrungen haben Sie bzw. die DEZA mit der Art gemacht, wie die Wissenschaft die Themenbereiche von «r4d-Programm» angeht? Können sie diese Erfahrungen auch über die konkrete Forschungszusammenarbeit hinaus nutzen?

Viele r4d Projekte waren so erfolgversprechend, dass sie weiterverfolgt werden. So ermittelte beispielsweise ein Projekt in Kenia Massnahmen zur Eindämmung von invasiven Pflanzen, die kostbares Wasser aus dem Boden aufsaugen und die Landwirte und das Vieh schädigen. Aus diesem Projekt entstand eine nationale Strategie zur Ausrottung invasiver Bäume in Kenia, die von der nationalen Regierung verabschiedet wurde.

Wir können festhalten, dass die gleichberechtigte Forschungszusammenarbeit und insbesondere die gemeinsame Konzipierung von Forschungsfragen zum Erfolg der Projekte beiträgt. In der Schweiz existiert eine bedeutende Forschungsgemeinschaft im Bereich der Nord-Süd-Forschung, die auf passende Fördermöglichkeiten, wie ein r4d-Programm oder sein Nachfolger – das Solution-oriented Research for Development Programme (SOR4D-Programm) – angewiesen ist. So existiert beispielsweise ein reger Austausch mit der Kommission für Forschungspartnerschaften mit Entwicklungsländern (KFPE), der hilft die DEZA-SNF-Forschungsprogramme auf die Bedürfnisse der Forschenden auszurichten. Damit erweitern wir unseren Wirkungskreis.  

Das SOR4D-Programm baut auf den Erfahrungen des r4d-Programms auf. Dabei liegt der Fokus noch stärker auf der tatsächlichen Wirkung in den Partnerländern.
Odile Robert

Haben sie Rückmeldungen aus dem Schweizerischen Nationalfonds erhalten, welche Impulse die Zusammenarbeit mit der DEZA der Forschung und Wissenschaft geben konnte?

Das r4d-Programm ist ein partnerschaftliches Programm zwischen der DEZA und dem SNF. Beide Institutionen bringen ihre entsprechende Expertise ein. Die DEZA im Bereich der nachhaltigen Entwicklungszusammenarbeit und der SNF in der Forschung. Weder die eine noch die andere Institution könnte dieses Programm im Alleingang durchführen. Dies macht das Programm einzigartig.

Beim r4d- und SOR4D-Programm handelt es sich um die einzigen Programme des SNF, welche sich direkt der nachhaltigen Entwicklung widmen. Zudem war das r4d-Programm sozusagen ein «living lab» oder ein lernendes Programm für transformative Forschung, welches sich über die Jahre weiterentwickelt hat. Dank r4d und SOR4D hat der SNF die Möglichkeit, neuartige Forschungsförderungsprogramme aufzubauen und zu testen. Vor allem im Bereich der Transdisziplinarität, also der Zusammenarbeit von Forschenden mit Praxisakteuren, bieten solche Programme eine wichtige Lernquelle.

Auf «r4d» folgt das «Solution-oriented Research for Development Programme» (SOR4D). Inwieweit führt dieses Programm das bisherige «r4d»-Programm weiter – und wo unterscheidet es sich?

Das SOR4D-Programm baut auf den Erfahrungen des r4d-Programms auf. Dabei liegt der Fokus noch stärker auf der tatsächlichen Wirkung in den Partnerländern. Der Unterschied besteht darin, dass SOR4D nicht mehr «nur» interdisziplinär, sondern transdisziplinär ist. Transdisziplinär bedeutet, dass die interdisziplinäre Forschungszusammenarbeit durch die Zusammenarbeit mit ausserwissenschaftlichen Akteuren ergänzt wird. Ziel ist es, Lernprozesse zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu ermöglichen und so Wissen und Lösungen zu entwickeln, die dazu beitragen können, gesellschaftliche Herausforderungen besser zu bewältigen, zu lösen oder zu verhindern. Der Fokus wird beim SOR4D also noch stärker auf konkrete Lösungen und das Potenzial für «Upscaling» gelegt, also die konkrete Umsetzung oder Anwendung von Forschungsresultaten auch ausserhalb der Wissenschaft.

SOR4D ist, wie die Bezeichnung sagt, «solution oriented». Heisst das, dass das r4d-Programm zu wenig lösungsorientiert war, oder weshalb liegt der Fokus nun explizit darauf?

Mit SOR4D sind wir noch einen Schritt weitergegangen. Obwohl aus r4d bereits wichtige Lösungen hervorgegangen sind, fokussieren wir mit dem SOR4D-Programm noch stärker auf die Wirkung der entwickelten Lösungen vor Ort. Dies bedingt den frühzeitigen Einbezug von Praktikern, z.B. NGOs, lokale Entscheidungstragende oder Vertretende des Privatsektors. Damit soll sichergestellt werden, dass das generierte Wissen oder die Lösungen in die Politik einfliesst oder von NGOs oder dem Privatsektor aufgegriffen wird. Wichtig ist hier auch, dass die Projekte einen systemischen, also ganzheitlichen, Ansatz verfolgen, damit die Forschung tatsächlich Wirkung erzielt. Der Einbezug der lokalen Bevölkerung und lokaler Akteure ist ein zentrales Element für den Erfolg und die Wirkung der Projekte. Das SOR4D-Programm gehört zu den kompetitivsten Forschungsprogrammen der Schweiz. Im SOR4D beträgt die Erfolgsquote rund 8%, was einerseits das grosse Interesse an diesem Programm, andererseits aber auch die Relevanz der Forschung für eine nachhaltige Entwicklung unterstreicht.

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