Lieber Herr Gugger, Sie haben sich als ortsunkundiger Schweizer auf Erkundungstour durch das südliche Niederösterreich begeben und schliesslich die 40. Niederösterreichische Landesausstellung zusammengestellt. Wie sind Sie dazu gekommen?
Nun, ich hatte mir als Ausstellungskurator für den alpinen Bereich schon einen Namen gemacht und über die Alpen – sowohl in Österreich als auch in der Schweiz – schon einige Ausstellungen gestaltet. Die klassischen Kunstausstellungen mit Gemälden, Skulpturen und Kunstinstallationen sind nicht mein Metier. Vielmehr ist die Kulturgeschichte der alpinen Regionen mein Spezialgebiet und ich bin mittlerweile im Ausstellungbereich dafür auch bekannt. Das nächste Projekt wird in Graz sein, wo ich eine Schau über die Grazer Sektion des Alpenvereins kuratieren werde. Ich kann auf viele unterschiedliche Ausstellungen in der Schweiz und in Österreich zurückblicken, die ich mitorganisiert habe. Das Themenspektrum reichte dabei von Naturheilern, UFO-Fotografie über Staub und Bier bis hin zur Gletschermumie Ötzi.
Das südliche Niederösterreich gehört typischerweise zum Alpenvorland, ist also durchaus ein nicht unbekanntes Gebiet für Sie. Wie war nun Ihre Herangehensweise an das grosse Projekt Niederösterreichische Landesausstellung 2019?
Ich habe in den vergangenen zweieinhalb Jahren monatlich mindestens eine Woche lang in Niederösterreich zugebracht und konnte Region und Leute sehr gut kennenlernen. Auf meinen Erkundungstouren fühlte ich mich ein bisschen wie ein Trüffelschwein…ich habe gesucht und gesucht und bin immer wieder auf besondere Dinge oder Zusammenhänge gestossen, die ich dann für die Ausstellung aufbereitet habe. Ich rede viel mit den Leuten und stelle Fragen. Ich habe die Menschen getroffen, zugehört, Interviews geführt. Ich beginne komplett unvoreingenommen, wie ein unbeschriebenes Blatt. Und ich erzähle die Geschichte mit all ihren Widersprüchen weiter. Ich nehme keine Wertung vor, sondern nehme die Menschen ernst. Gemeinsam mit meinem österreichischen Co-Kurator Gerhard Proksch bin ich viel herumgereist, wir haben viele Menschen getroffen und viele Museen besucht, um zu merken, worum es geht. Wir haben viel diskutiert. Es geht ja darum, die Essenz einer Region zu spüren und die dann in einer Ausstellung so umzusetzen, dass man die Geschichten erlebbar macht.
Es erfordert viel Zeit und Geduld, ein so ausgedehntes Gebiet zu erforschen. Die Landschaft ist oft weitläufig und monoton. Wie konnten Sie dennoch die spannenden Geschichten und interessanten Orte ausfindig machen?
Die Landschaft ist weitläufig, aber keinesfalls monoton. Mir war in den zweieinhalb Jahren keine Sekunde langweilig. Ich konnte mir bislang völlig unbekannte Regionen erkunden, wie z.B. die Bucklige Welt, den Schneeberg oder den Semmering. Allesamt sind wundervolle Kraftorte, voller Natur, Narrative und Geheimnisse. In beinahe jeder Siedlung konnte ich kleine Museen besichtigen, Objekte suchen und zusammentragen, mit den Bewohnern sprechen. Eine Hühnerbäuerin hat mir genau den Weg eines Hühnereis von ihrem Hof in der Buckligen Welt bis auf den Marktstand in Wiener Neustadt skizziert. Oder in einem Wirtshaus konnte ich ein Miniaturmodell eben dieses Wirtsbetriebs für die Ausstellung ausleihen. Man muss immer mit offenen Augen und geschärften Sinnen durchs Leben gehen… dann findet man schnell in jeder Ecke etwas Spannendes.
Bei der Fülle an Eindrücken, Fundstücken und Erlebnissen, war es da nicht schwierig, einen gemeinsamen Nenner zu finden? Wie verbinden Sie das Hühnerei aus der Buckligen Welt mit dem Semmering und dem Miniaturwirtshaus?
Sehr früh musste ich feststellen, dass die Region sehr viele Geschichten zu erzählen hat und die Handlungsstränge nicht immer parallel verlaufen. Die Kunst bei der Zusammenstellung einer Ausstellung ist es, die bislang unzusammenhängenden Themen zu einem roten Faden zu verdrillen. Der Titel «Welt in Bewegung» wurde somit gewählt, um der Fülle der unterschiedlichen Schwerpunkte der Regionen gerecht zu werden.
Die Objekte und Geschichten verknüpften wir zu einer grossen stimmigen Erzählung. Mit einer offenen Interpretation von Mobilität haben wir Bewegungen, Veränderungen mit persönlichen Geschichten und Biografien verbunden. So konnten wir einen Bogen spannen: der Geschichte der Stadt Wiener Neustadts verbunden mit der umliegenden Region weit hinaus in die Welt tragend.
Entstanden ist eine ungewöhnliche, in der Form noch nie zusammengetragene Ausstellung. Wiener Neustadt steht im Zentrum – doch rundherum bewegen sich verschiedenste Welten in konzentrischen Kreisen – einmal nah, einmal fern, und immer wieder überraschend. So steht eine Stadt im Aufbruch und ihrer Beziehung zur Welt im Zentrum der NÖ Landesausstellung 2019. «
Die Ausstellung verbindet folglich die Themen Mobilität und Stadtgeschichte miteinander. Wir haben Sie diese Verbindung räumlich dargestellt?
Ausstellungen sind ja ein sehr plakatives Medium, in dem nur episodische Erzählungen funktionieren. Die Dramaturgie der Niederösterreichischen Landesausstellung folgt dem Mobilitätsschwerpunkt, den wir sowohl in der Stadtgeschichte als auch dem Leben des Habsburger Kaisers Friedrich III. thematisieren. Doch auch die Zukunft der Mobilität in der Stadt spielt eine wesentliche Rolle. Ich habe eine historische Herangehensweise, ich frage mich aber auch immer nach der Relevanz für die Gegenwart. Bei meinen Recherchen zu Wiener Neustadt bin ich immer wieder auf Kaiser Friedrich III. und seine portugiesische Gemahlin Eleonore gestossen. Sie war eine Nichte des berühmten Entdeckers Heinrich dem Seefahrer, der den Seeweg um Afrika herum nach Indien erkunden liess. So gelang es mir – wie auch in vielen anderen Themen, die Verbindung von Weltgeschichte, Mobilität und Stadtgeschichte herzustellen.
Was die Standorte der Ausstellung betrifft, galt es insgesamt 3500m2 zu bespielen. Zur Verfügung standen die speziell für die Landesausstellung renovierten Kasematten – einst Stadtbefestigung, heute Architekturdenkmal – einerseits und das nach neusten musealen Ansprüchen erneuerte Stadtmuseum andererseits. In den Kasematten stehen Wiener Neustadt und seine Beziehungen zur Region im Mittelpunkt, sowie unterschiedliche Formen der Mobilität von der Vormoderne bis zur Zukunft. Wussten Sie zum Beispiel, dass Ferdinand Porsche nach Wiener Neustadt kam und sich hier zuerst mit dem Konzept der Elektromobilität befasste?
Der zweite Teil der Landesausstellung im Stadtmuseum – ehemals das Kloster St. Peter an der Sperr aus dem 13. Jahrhundert – zeigt Wiener Neustadt im Spiegel der Weltgeschichte. Zum Beispiel werden hier die Reisen von Friedrich III. thematisiert. Ich habe mir während der Vorbereitungen oft die Frage gestellt, wie man das lange und abwechslungsreiche Leben und Wirken von Kaiser Friedrich III. spannend erzählen kann. Zusammen mit einem Illustrator haben wir die Biografie entwickelt und uns auf seine Reisen und die Beziehung zu seiner Gemahlin konzentriert.
Traditionellerweise fragen wir immer nach den Unterschieden zwischen Österreichern und Schweizern. Sie haben ja nun einen sehr profunden Einblick in die österreichische Seele erhalten. Welche Unterschiede zu den Schweizern konnten Sie identifizieren?
Ich habe ja bereits Ausstellungen in Österreich und der Schweiz kuratiert und ich konnte schon die eine oder andere Gemeinsamkeit und den einen oder anderen Unterschied ausfindig machen. In Österreich ist es so, dass bei der Entstehung eines Projekts sehr viele Stellen und Personen beteiligt sind. So eine gross angelegte Landesausstellung ist eine Investition in den Ort und die Region, es fliesst viel Geld hinein. Da gibt es Menschen in der Kulturverwaltung, Kommunalpolitiker und Unternehmen, die viel Zeit und finanzielle Mittel für so ein Projekt aufwänden und natürlich auch Ansprüche haben. In der Schweiz, so scheint es mir hingegen, unterschätzen viele Politiker den Wert und die Bedeutung von kulturellen Projekten, nehmen «uns» und unsere Arbeit wenig ernst, dafür wird auch die inhaltliche Gestaltung grösstenteils den Kuratoren überlassen.
Was mir in Österreich besonders auffällt ist die Publikumsreaktion auf Ausstellungen, die ich organisieren durfte. Bei einem Projekt hat mich ein 12seitiger Beschwerdebrief ereilt, in dem ein Bürger tatsächliche und vermeintliche Ungereimtheiten in meiner Ausstellung gelistet hat. Auf sehr fundierte Weise hat sich da ein Besucher mit den Exponaten und Erklärungen auseinandergesetzt und mir seine Sicht dargestellt. Ich habe mich damals lange mit dem Brief befasst, das Ganze sehr ernst genommen und ebenso fundiert geantwortet. Es hat mich gefreut, dass es jemandem nicht wurscht ist, was ich für eine Ausstellung recherchiere und zusammenstelle. Und manche historische Fakten sind nun einmal nicht in Stein gemeisselt. In der Schweiz habe ich so eine ausführliche Reaktion auf eine meiner Ausstellungen noch nie erlebt.
Dann ist natürlich die österreichische Herangehensweise an ein Projekt etwas unbeschwerter und pragmatischer als ich das aus der Schweiz gewöhnt bin. Das österreichische «Passt» ist ein Kontrapunkt zum Schweizer Hang zum Perfektionismus. In Österreich ist halt nicht alles zu 100% durchorganisiert. Der Stresslevel ist auch ein niedrigerer. Der Erfolg eines Projekts ist aber deswegen nicht geringer – oft auch dank eines gewissen Pragmatismus überhaupt möglich.
Ich arbeite gerne in Österreich und werde hier durchwegs sehr wohlwollend aufgenommen. Besonders im Kulturbereich sind die Menschen hier sehr kompetent und offenherzig. Ich freue mich deswegen auch schon auf meine nächste Ausstellung in Graz mit dem Alpenverein. In meinem Fall sind nicht nur die Alpen ein verbindendes Element zwischen Österreich und der Schweiz, sondern auch die sehr konstruktive und kreative Zusammenarbeit unter Nachbarn und Freunden.
Vielen Dank, Herr Gugger, für das Interview und die interessanten Einblicke in die Gestaltung der NÖ Landesausstellung 2019!
Die Niederösterreichische Landesausstellung 2019 mit dem Titel »Welt in Bewegung! Stadt. Geschichte. Mobilität« ist noch bis 10. November 2019 in Wiener Neustadt zu sehen.
Öffnungszeiten:
täglich 9.00 bis 18.00
Ausstellungsorte:
Kasematten, Bahngasse 27, 2700 Wiener Neustadt
Museum St. Peter an der Sperr, Johannes von Nepomuk-Platz 1, 2700 Wiener Neustadt