27.04.2016

Zurigo, 27.04.2016 - Allocuzione del Consigliere federale Didier Burkhalter all'ETH Zurigo - Fa stato la versione orale

Oratore: Didier Burkhalter

© DFAE
EDA

Liebe Studierende
Liebe Mitarbeitende der ETH
Meine Damen und Herren

Es freut mich, heute Abend an der ETH mit Ihnen über die Schweiz und ihre Aussenpolitik diskutieren zu können. Schweizer Aussenpolitik entsteht immer im Dialog. Der Austausch mit jungen Menschen ist mir ein besonderes Anliegen.

In diesen Hörsälen der ETH wird die Zukunft gestaltet. Die persönliche Zukunft der Studentinnen und Studenten, die hier ihr berufliches Rüstzeug erwerben. Aber auch die Zukunft der Schweiz und der Welt. Mit ihrer exzellenten Forschung und Lehre und dem Transfer neuer Erkenntnisse in die Praxis kommt der ETH eine führende Rolle in der Entwicklung innovativer und nachhaltiger Lösungen zu. Lösungen, die uns allen zugutekommen.

Um die Gestaltung der Zukunft geht es auch in der Politik. Es ist eine Kernaufgabe der Politik, Perspektiven für junge Menschen und die Generationen nach uns zu schaffen. Im Falle der Schweiz heisst das, die gute Ausgangslage unseres Landes für die Welt von morgen zu sichern und wo möglich zu verbessern.

Ich weiss nicht, ob es Ihnen auch so geht, aber ich spüre vor allem in meinen Gesprächen im Ausland, wie gut es der Schweiz nach wie vor geht. Man staunt und beneidet uns manchmal auch darum, dass unser Land in vielen Ranglisten so weit oben steht – sei es betreffend Lebensqualität, Beschäftigung, politische Stabilität, Bildung und Forschung oder Wettbewerbsfähigkeit. Die Schweiz gehört zu den zwanzig grössten Volkswirtschaften der Welt und liegt in Europa auf Platz sieben. Für ein Land mit acht Millionen Einwohnern ist das eine bemerkenswerte Leistung. Eine Leistung, zu der auch die ETH und unsere anderen Hochschulen und Universitäten massgeblich beitragen.

Es geht in der Politik also darum, das Erfolgsmodell Schweiz zukunftsfähig zu machen. Und dies nicht nur für unsere Jugend sondern auch mit unserer Jugend. Der Einbezug junger Menschen in die Politik ist mir seit jeher ein Anliegen.

Deshalb hat sich die Schweizer Aussenpolitik zum Beispiel erfolgreich dafür eingesetzt, der Jugend in der OSZE eine Stimme zu geben. Deshalb arbeiten wir in der Schweiz auch mit den klugen jungen Köpfen von foraus zusammen. Und deshalb hat das EDA jüngst einen Blog zur Schweizer Aussenpolitik lanciert, wobei dieser natürlich Jung und Alt ansprechen soll!

Meine Damen und Herren

Um die bestmögliche Zukunft für die Schweiz zu sichern, müssen wir sowohl im Innern als auch in der Aussenpolitik die Weichen richtig stellen. Heute Abend wollen wir über die Aussenpolitik reden. Unsere Veranstaltung dreht sich um die Frage, welche Aussenpolitik wir für unser Land wollen. Meine vorläufige Antwort ist, dass wir eine Aussenpolitik wollen, die die Schweiz zukunftsfähig macht. Ich möchte mit Ihnen diskutieren, was das für die Aussenpolitik konkret heisst. Wie soll sich die Schweiz aussenpolitisch aufstellen? Wo soll sie Prioritäten setzen?

Jede Bürgerin, jeder Bürger, wir alle sollten uns diese Fragen immer wieder von neuem stellen. Und natürlich muss dies auch der Bundesrat tun. Er macht dies unter anderem, indem er alle vier Jahre eine Aussenpolitische Strategie verabschiedet. Diese Strategie ist unser Kompass. Sie ist auf etwa zehn Jahre ausgerichtet. Der Bundesrat überprüft sie aber zu Beginn jeder Legislatur und nimmt dort, wo es nötig ist, Justierungen vor.

Heute will ich Ihnen die neue Aussenpolitische Strategie für die Jahre 2016 bis 2019 darlegen. Vor allem will ich zeigen, wie wir diese Strategie umsetzen. Wie wollen wir die Schweiz zukunftsfähig machen?


Man kann an eine solche Frage unterschiedlich herangehen. Manche plädieren dafür, dass sich die Schweiz an der Vergangenheit orientieren soll, im Sinne von: „So wie wir es früher gemacht haben, ist es auch künftig am besten“.  Geschichte und Tradition sind im Falle der Schweizer Aussenpolitik sicherlich kein schlechter Ratgeber. Als Wegweiser für die Zukunft aber reichen sie nicht aus.

Andere argumentieren, dass es die Schweiz möglichst so machen soll wie vergleichbare Länder. Die Schweiz also in enger Partnerschaft mit den europäischen Staaten. Auch dies ist nicht falsch, greift aber ebenfalls zu kurz. Denn dieser Ansatz verkennt, dass die Schweiz ein einzigartiges aussenpolitisches Profil hat, das zukunftsträchtig ist.

Der Bundesrat stützt seine Strategie deshalb auf mehrere Grundlagen. Lassen Sie mich die drei wichtigsten erwähnen:

Zunächst die Bundesverfassung. Sie gibt vor, dass sich der Bund für die Freiheit des Volkes einsetzt und die Unabhängigkeit, Sicherheit und Wohlfahrt des Landes wahrt. Und sie gibt unserer Aussenpolitik den Auftrag, dass sie beiträgt zur Linderung von Not und Armut, zur Achtung der Menschenrechte und zur Förderung der Demokratie, zu einem friedlichen Zusammenleben der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen. Das sind unverrückbare Interessen und Werte der Schweiz, die der Aussenpolitik einen konstanten Rahmen verleihen.

Ein zweiter Bezugspunkt der Strategie ist die politische Kultur der Schweiz. Innen- und Aussenpolitik sind in der Schweiz enger aufeinander bezogen als in anderen Staaten. Das hat mit unseren politischen Institutionen zu tun. Die Schweizer Bevölkerung kann dank der direkten Demokratie auch aussenpolitische Weichen stellen. Die Aussenpolitik der Schweiz soll auch die Aussenpolitik ihrer Bürger sein. Es ist unsere gemeinsame Aussenpolitik. Dies wiederspiegelt sich auch darin, dass wir die inneren Stärken unseres Landes zu Kernthemen unserer Aussenpolitik machen.

Konkret heisst das: Als Land sprachlicher, kultureller und religiöser Vielfalt setzt sich die Schweiz ein für Dialog und inklusive Lösungen, für Einbindung und Machtteilung, für Rechtsstaatlichkeit und die humanitären Grundsätze, für eine freie und starke Zivilgesellschaft und für eine Zähmung der Macht durch das Recht.

Schweizer Aussenpolitik ist damit bürgernah. Das gibt ihr eine echte „innere“ Stärke. Es ist die politische Kultur, die der Schweizer Aussenpolitik letztlich ihre Einzigartigkeit verleiht. Und die zu Kontinuität in der Aussenpolitik beiträgt.

Aber es gibt auch Wandel. Es gibt Gründe, warum wir unsere Aussenpolitik immer wieder überprüfen und anpassen müssen. Einer davon ist das sich verändernde Umfeld der Schweiz – der dritte Bezugspunkt der Strategie, den ich hier erwähnen möchte.

Die Welt wandelt sich rasant. Die Globalisierung eröffnet für viele Staaten und Menschen nach wie vor Entwicklungschancen. Sie lässt aber auch eine multipolare Welt entstehen, für die sich keine stabile Ordnung abzeichnet. Der Status quo wird in mehreren Regionen in Frage gestellt, so in Ostasien (im Südchinesischen Meer), in Europa (mit der Ukrainekrise und den Spannungen zwischen  Russland und dem Westen) und in Nahost. Geopolitische Rivalitäten verstärken sich. Gleichzeitig hat die Bedrohung durch terroristische Gruppierungen zugenommen, insbesondere durch den sogenannten Islamischen Staat. Das Völkerrecht kommt unter wachsenden Druck. Das sind gefährliche Entwicklungen.

Die markanteste Veränderung sind die Vielzahl von Konflikten, mit denen wir in Europas südlicher und östlicher Nachbarschaft konfrontiert sind, und die markant gestiegenen Opferzahlen. Das schlimmste Beispiel ist Syrien: Hunderttausende Opfer, die Hälfte der Bevölkerung vertrieben, drei von vier Syrerinnen und Syrern abhängig von humanitärer Hilfe. Man kann sich das Leid kaum vorstellen.

Die Diplomatie und das humanitäre System sind so stark gefordert wie selten. Die Folgen von Instabilität und Perspektivenlosigkeit in Staaten südlich des Mittelmeers machen sich dabei verstärkt auch in Europa bemerkbar. Denken wir an die Flüchtlingskrise. Oder an die Terroranschläge von Dschihadisten in Paris und Brüssel.
 
Der Welt ist also die Stabilität abhandengekommen. Was bedeutet das für unsere Aussenpolitik?

Die Antwort des Bundesrats ist klar: Gerade in dieser Zeit der Unsicherheit und Krisen ist es wichtig und im Sinne der Interessen und Werte der Schweiz, dass sie ihr Umfeld mitgestaltet. Unser Land kann Brücken bauen, wo andere blockiert sind, mit vielfältigen Partnern zusammenarbeiten und eigene Initiativen entwickeln. Gleichzeitig müssen wir gerade jetzt, da autoritäre Regierungsformen Auftrieb haben, für unsere Werte einstehen. Gefragt ist eine engagierte und beherzte Aussenpolitik – keine Rückkehr zu alten Igelreflexen.

Die Schweiz soll aber nicht nur mitgestalten, sondern auch eigenständig bleiben. Diese Kombination von Eigenständigkeit und Mitgestaltung gibt unserer Aussenpolitik ein besonderes Profil. Unser Land ist zugleich den europäischen Werten und der völkerrechtlichen Neutralität verpflichtet. Wir haben keine koloniale Vergangenheit und gehören in der neuen multipolaren Welt keinem Machtzentrum an.

Die Schweiz ist in Vielem kein Kleinstaat, sondern ein mittelgrosser Akteur. Wir sind nicht so gross, dass andere Angst vor uns hätten, aber auch nicht so klein, dass wir nichts bewegen könnten. Und – ein besonderes Markenzeichen – wir sind glaubwürdig. Wir sind zuverlässig, lösungsorientiert und pragmatisch.

Die Schweiz hat also gute Voraussetzungen, um nützliche Beiträge zu leisten. Das haben wir mit dem OSZE-Vorsitz gezeigt. Oder beispielsweise mit der Fazilitierung der Verhandlungen zwischen Iran und den USA, die vor ein paar Monaten zur Freilassung von Gefangenen führten. Brückenbauer sind in unserer polarisierten und fragmentierten Welt gefragt und nötig wie schon lange nicht mehr.

Ein solches Engagement ist in unserem Interesse. Als stark globalisiertes Land ist die Schweiz auf ein stabiles Umfeld und eine friedliche und gerechte internationale Ordnung angewiesen. Unser Engagement ist zugleich ein Gebot der Solidarität. Wir haben das Glück, in einem Land ohne Krieg und Hunger zu leben. Ein solches Leben in Würde verdienen alle Menschen. Auch dafür setzt sich die Schweiz ein. Solidarität gehört zu einer verantwortungsbewussten Aussenpolitik.

Der eigenständige Kurs der Schweiz ist anspruchsvoll. Die Schweiz muss sich je nach Thema immer wieder neue Partner suchen, um ihren Ideen zum Durchbruch zu verhelfen. Wenn wir eigene Wege gehen, etwa bei Sanktionen, kann dies zu Kritik führen. Zudem müssen wir uns manchmal doppelt anstrengen, um gehört zu werden.

Derzeit beobachten wir einen Trend der Grossmächtediplomatie. Generell besteht das Risiko, dass wir in gewisse Entwicklungen nicht oder erst spät eingebunden werden. Beispielsweise geniessen wir derzeit die Vorteile einer eigenen Freihandelspolitik. Dabei müssen wir aber auch die Bemühungen um überregionale Freihandelsabkommen, insbesondere zwischen der EU und den USA, eng verfolgen.

Der eigenständige Weg ist also ein Kraft- und Willensakt. Aus Sicht des Bundesrats überwiegen die Vorteile und Chancen aber deutlich. Unsere Aufgabe ist es, die Spielräume zu nutzen und die Risiken zu minimieren. Daran arbeiten wir, Tag für Tag.
 
Meine Damen und Herren

Was sind nun die Prioritäten in der neuen Strategie? Der Bundesrat setzt vier aussenpolitische Schwerpunkte um die bestmögliche Zukunft für die Schweiz zu sichern:

Erstens: Die erfolgreiche Schweiz von morgen braucht eine tragfähige Partnerschaft mit der EU. Genau darum geht es in den derzeitigen Gesprächen mit Brüssel.

Die EU ist und bleibt der wichtigste Partner der Schweiz. Wir sind wirtschaftlich und mit menschlichen Banden eng verflochten. Wir verfechten dieselben Werte. Wir sind mit denselben sicherheitspolitischen Bedrohungen und Gefahren konfrontiert.

Die EU ringt heute mehr denn je um ihre innere Verfasstheit. Keiner von uns kann vorhersagen, wie sie sich weiterentwickelt. Aber wir können davon ausgehen, dass die EU fortbesteht. Wir können sagen, dass es im Interesse der Schweiz ist, wenn die EU nach innen und aussen handlungsfähig ist – und wenn die relative Stabilität unseres regionalen Umfelds dank der europäischen Friedens- und Rechtsordnung gewahrt bleibt. Und wir dürfen erwarten, dass die EU aufgrund der jüngsten Erfahrungen bereit ist, Europas Vielfalt künftig stärker zu berücksichtigen.

Deshalb setzt sich der Bundesrat mit vollem Engagement für die Konsolidierung und Erneuerung des bilateralen Wegs ein. Dieser bilaterale Weg ermöglicht eine Partnerschaft zwischen der Schweiz und der EU, die den Interessen beider Seiten Rechnung trägt. Verglichen mit Alternativen wie einem Freihandelsabkommen, dem EWR oder dem EU-Beitritt bietet der bilaterale Weg für die Schweiz die bestmögliche Balance zwischen Eigenständigkeit und Teilhabe. Wir sind nicht Mitglied, wir sind aber auch kein normaler Drittstaat. Wir sind die Schweiz, der drittwichtigste Handelspartner der EU.

Sie alle wissen: Wir stehen derzeit an einem kritischen Punkt in der Europapolitik. Der Bundesrat hat sich zum Ziel gesetzt, den Auftrag des Souveräns zur Steuerung der Zuwanderung so umzusetzen, dass das bilaterale Verhältnis mit der EU intakt bleibt. Wir wollen dies auf der Basis der im Freizügigkeitsabkommen vorhandenen Schutzklausel tun. Zusammen mit der EU suchen wir eine gemeinsame Auslegung dieser Schutzklausel, welche eine Steuerung der Zuwanderung erlaubt.

Wenn eine einvernehmliche Lösung gelingt, dann hat der bilaterale Weg gute Perspektiven. Für die ETH besonders wichtig: Die Schweiz wird dann das Protokoll zur Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf Kroatien ratifizieren können, womit sich unser Land wieder gleichberechtigt an Horizon 2020 beteiligen kann.
 
Im Falle einer einvernehmlichen Lösung zur Steuerung der Zuwanderung wollen wir auch die Verhandlungen über die institutionellen Fragen vorantreiben. In diesen Verhandlungen hat es schon gute Fortschritte gegeben. Insbesondere ist die Kommission unserem Vorschlag gefolgt, was die Rolle des EU-Gerichtshofs in der Streitschlichtung betrifft. Der EuGH interpretiert den EU-Acquis, der in die bilateralen Abkommen aufgenommen wurde, für beide Parteien. Aber die Streitschlichtung ist Sache der Parteien im gemischten Ausschuss und somit politisch. Am Ende entscheiden wir und nicht die Richter. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung ist die einzige ohne fremde Richter.

Wenn wir uns auf ein Abkommen zu den institutionellen Fragen einigen, stellen wir sicher, dass die bisherigen Verträge erhalten bleiben und der bilaterale Weg zukunftsfähig ist; wir schaffen Rechtssicherheit und sichern der Schweiz den Zugang zum EU-Binnenmarkt.

Es kann aber auch sein, dass wir uns mit der EU nicht auf eine gemeinsame Lösung in der Personenfreizügigkeit einigen und kein institutionelles Abkommen abschliessen können. Dann stehen wir vor schwierigen Entscheiden und müssen uns auf eine längere Phase der Unsicherheit einstellen.

Wie ich gestern in Brüssel sagte: Wenn sich die Schweiz und die EU einigen, ist das eine Win-Win-Lösung. Andernfalls sind wir bei Lose-Lose. Das kann nicht in unser beider Interesse sein. Die Schweiz braucht die EU. Und die EU braucht die Schweiz. Das gilt für die Forschung, das gilt aber auch weit darüber hinaus.

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU sollen stark und lösungsorientiert sein. Sie sollen dazu beitragen, die gemeinsamen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Herausforderungen Europas zu bewältigen. Krisen gibt es andere genug!

Und damit komme ich zum zweiten Schwerpunkt, den Beziehungen zu globalen Partnern.

Die Welt wird weniger westlich. Staaten in Asien und im Süden gewinnen an Einfluss. Wir sehen derzeit, dass auch bei den BRICS-Staaten die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Aber es bleibt eine Realität, dass sich die wirtschaftlichen und politischen Kräfteverhältnisse verschieben.

Diese Entwicklung ist für die eigenständige Schweiz eine Herausforderung. Aber unser Land ist gut gerüstet. Wir haben ein Aussennetz, dass der Universalität verpflichtet ist. Obwohl bevölkerungsmässig nur um Rang 100 klassiert, verfügt die Schweiz über das sechzehntgrösste Aussennetz. Die fünfzehn vor uns liegenden Staaten haben alle eine mindestens fünfmal grössere Bevölkerung.

Die Schweiz ist global präsent. Unser Aussennetz ist ein Schlüssel zur Umsetzung unserer Aussenpolitik. Dank den weltweiten Vertretungen können wir in einer globalisierten Welt unsere Interessen eigenständig wahren. Wir fördern damit Chancen für unsere Exportwirtschaft. Wir unterstützen unsere Bürger im Ausland (jeder zehnte Schweizer lebt im Ausland, und unsere Bürgerinnen und Bürger machen jährlich 10 Millionen Reisen!). Und wir schaffen damit die Voraussetzungen für unser Engagement im Bereich Entwicklung, Frieden und Sicherheit.

Aber die Schweiz braucht mehr als ein breites Vertretungsnetz. Sie braucht gute Beziehungen zu denjenigen Mächten, die die Weltpolitik und Weltwirtschaft bewegen.

Vor elf Jahren entschied der Bundesrat, strategische Partnerschaften mit den USA, Japan, der Türkei und den BRICS-Staaten anzustreben. Diese Partnerschaften haben sich seither unterschiedlich entwickelt. Dort wo möglich und nützlich wollen wir sie weiter  intensivieren und diversifizieren.

Die Schweiz hat mit weiteren G20-Staaten enge Partnerschaften aufgebaut, etwa mit Mexiko, Südkorea, Indonesien und Australien. Ich werde in den nächsten Wochen nach Argentinien und nach Kanada reisen, mit dem Ziel, auch mit diesen Staaten die Beziehungen zu vertiefen. Ob die Schweiz weitere strategische Partnerschaften anstreben soll, prüft jetzt der Bundesrat. Klar ist für mich: Die erfolgreiche Schweiz von morgen muss global gut vernetzt sein. Das kann aber nur ergänzend und nicht als Ersatz für enge Beziehungen zur EU und ihren Mitgliedstaaten sein.

Und damit komme ich zum dritten Schwerpunkt – einer international anerkannten Spezialität der Schweizer Aussenpolitik: Unserem Engagement für Frieden und Sicherheit. Dieses Engagement wollen wir ausbauen.

Im Bereich Frieden und Sicherheit wird das spezifisch Schweizerische an unserer Aussenpolitik besonders sichtbar. Wir engagieren uns dort, wo die Schweiz einen Mehrwert bieten kann und wo unsere Stärken besonders nachgefragt sind.

Dazu gehört die Mediation. Die Schweiz ist aktuell in mehr als 20 Mediationsprozesse involviert. Sie beteiligt sich nach wie vor an der Lösungssuche in der Ukrainekrise. Im Syrienkonflikt unterstützen wir den UNO-Sondergesandten de Mistura mit drei Experten und versuchen mit verschiedenen diplomatischen Aktivitäten, die Voraussetzungen für eine Verhandlungslösung zu verbessern. Aber auch abseits des Rampenlichts ist die Schweiz als Brückenbauerin aktiv, etwa in Sri Lanka, in Kolumbien, in Myanmar oder auf den Philippinen.

Unsere Erfahrung und unsere Kompetenz in der Mediation – der Schweizer Sinn für Konsenslösungen – sind gefragt wie selten. Deshalb erhöhen wir im EDA die Mediationskapazitäten. Wir wollen hierfür auch die Ausbildung für angehende Mediatoren professionalisieren. Darüber habe ich heute bei meinem Besuch an der ETH gesprochen, mit der wir im Bereich der Mediation eng zusammenarbeiten.

Die aktuellen Entwicklungen in der Ostukraine und in Syrien verdeutlichen, wie schwierig es ist, in komplexen Krisen politische Lösungen zu finden. Wir sehen wieder mehr Gewalt und weniger Dialog, auf Kosten der Zivilbevölkerung und des Friedens. Klar ist: Friedensförderung erfordert Bescheidenheit – wir können helfen, Konflikte zu lösen, aber den entscheidenden Schritt müssen die Konfliktparteien selber tun. Gefragt sind aber insbesondere Geduld und Beharrlichkeit. Die Arbeit am Frieden ist ein Marathonlauf, kein Sprint.

Über die Mediation hinaus engagieren wir uns hierfür mit weiteren typisch schweizerischen Guten Diensten. Ich denke an die Schweiz als Gaststaat und Fazilitator. Der Bundesrat unternimmt viel, um das Internationale Genf (ein wichtiges Instrument unserer Aussenpolitik) als globales Zentrum für Frieden und Sicherheit zu stärken. Ich denke auch an unsere Rolle als Schutzmacht, wenn Staaten keine diplomatischen Beziehungen mehr zueinander unterhalten, wie das aktuell zwischen Iran und Saudi-Arabien der Fall ist.

Die Schweiz gehört aber auch zu denjenigen Staaten, die die Ursachen von Konflikten und Fragilität angehen, auf Prävention setzen und so die Bedingungen für nachhaltigen Frieden verbessern wollen. Auch hierfür haben wir ein umfassendes Instrumentarium entwickelt.

Exemplarisch erwähnen möchte ich unser Engagement für die Menschenrechte, für das das EDA jüngst eine eigene Strategie veröffentlicht hat. Auch hier setzen wir auf inklusive Ansätze und neue Formen der Zusammenarbeit. Menschenrechte und Sicherheit sind zwei Seiten derselben Medaille. Deshalb wird die Schweiz im Juni einen Appell lancieren, dass der UNO-Menschenrechtsrat in Genf und der Sicherheitsrat in New York enger zusammenarbeiten.  Menschenrechtsverletzungen sind ein Frühwarnindikator für mögliche Krisenentwicklungen, der stärker als bisher auch vom Sicherheitsrat berücksichtigt werden sollte.

Frieden und Sicherheit fördert die Schweiz schliesslich auch, indem sie zu Lösungen für die globalen Herausforderungen beiträgt. Wir dürfen uns nicht allein auf die Prävention und Bewältigung der vielen Krisen konzentrieren, sondern wollen auch die Globalisierung mitgestalten.

Was heisst das? Die Schweiz hat beispielsweise Vorschläge gemacht, um Organisationen wie die OSZE und die UNO handlungsfähiger zu machen. Damit wollen wir die europäische respektive globale Sicherheit stärken. Ein weiterer Aspekt betrifft die bessere Einhaltung des humanitären Völkerrechts, das heute oft mit Füssen getreten wird. Dank einer Initiative der Schweiz und des IKRK wird heute über die Möglichkeit eines neuen Staatenforums zu dieser Thematik diskutiert. Schliesslich ist die Schweiz auch im Bereich der Nonproliferation und Abrüstung von Waffen und in Cyber-Fragen sehr aktiv. Brückenbauende Staaten mit innovativen Vorschlägen sind derzeit auch hier dringend nötig.

Meine Damen und Herren

Im vierten Schwerpunkt der Strategie geht es um „Nachhaltige Entwicklung und Wohlstand“.

Wir wollen eine Aussenpolitik, die der Bedeutung der Entwicklungszusammenarbeit gerecht wird. In den letzten Jahren gab es wichtige Fortschritte: Hunderte von Millionen Menschen haben von wachsenden Einkommen, besserer Bildung und einem breiteren Zugang zu modernen Technologien profitiert. Die Anzahl Personen, die in extremer Armut leben, hat sich seit dem Jahr 2000 halbiert. Aber die Ungleichheiten bleiben gross. Deshalb gehört die nachhaltige Entwicklung zu den Prioritäten unserer Aussenpolitik.

Mit der Agenda 2030 haben sich erstmals alle Staaten auf einen gemeinsamen Rahmen für nachhaltige Entwicklung geeinigt. Die17 Ziele dieser Agenda  beziehen die soziale, wirtschaftliche und ökologische Dimension mit ein. Die Schweiz hat diese Agenda wesentlich mitgeprägt. Wir sind daran, sie auf nationaler Ebene umzusetzen.

Wir machen das mit der Botschaft zur internationalen Zusammenarbeit, die der Bundesrat dem Parlament im Frühjahr unterbreitet hat. Diese Botschaft steht für etwas, das man mit Fug und Recht als ein neues Leitthema unserer Aussenpolitik bezeichnen kann: Die zunehmende Verschränkung von Entwicklung und Frieden.

Ohne nachhaltige Entwicklung kein Frieden. Und ohne Frieden keine nachhaltige Entwicklung. Diese Erkenntnis setzt sich immer mehr durch und hat Eingang in die Agenda 2030 gefunden. Die Schweiz gehört zu den Pionierstaaten, die diese Erkenntnis konsequent in die Praxis umsetzen.

Konkret heisst das: Mit der neuen Botschaft fügen wir unsere Instrumente der humanitären Hilfe, der Entwicklungszusammenarbeit, der Ostzusammenarbeit und der Friedensförderung unter einem gemeinsamen strategischen Rahmen zusammen. Jedes Instrument hat spezifische Rollen, aber alle arbeiten auf dieselben strategischen Ziele hin. Das ergibt Synergien und erhöht die Wirkung des Schweizer Engagements. Indem wir das traditionelle Silodenken zwischen den Instrumenten im Innern überwinden, stärken wir die Gestaltungskraft der Schweiz und können wir die Ursachen von Konflikten, Fragilität, Extremismus und Armut umfassend angehen.

Die IZA-Botschaft ist auf die aktuellen Herausforderungen und die Bedürfnisse künftiger Generationen ausgerichtet. Wir wollen weniger Armut, mehr Frieden und mehr Perspektiven für die Menschen vor Ort.

Wenn das Parlament dem Bundesrat folgt, werden wir uns künftig noch stärker in fragilen Kontexten engagieren. 55% unserer bilateralen Hilfe wird für Afrika und die Nahostregion verwendet, deren Herausforderungen Europa besonders stark berühren. Wir werden die humanitäre Hilfe noch erhöhen. Wir werden uns noch stärker für multilaterale Lösungen in globalen Fragen wie Klimawandel, Migration und Wasser engagieren (und auch damit die Globalisierung gestalten). Und wir werden unsere Guten Dienste und unser Profil als Brückenbauer stärken.

Lassen Sie mich an zwei Beispielen veranschaulichen, wie wir der zunehmenden Verschränkung von Frieden und Entwicklung in der Praxis gerecht werden wollen:

Erstes Beispiel: Die Prävention von gewalttätigem Extremismus. Der Bundesrat hat dies als eine aussenpolitische Priorität im Bereich der Terrorbekämpfung identifiziert. Die Schweiz will Staaten und betroffene Gemeinschaften darin unterstützen, das gesellschaftliche Umfeld so zu gestalten, dass sich Menschen nicht zu extremistischer Gewalt hinreissen lassen. Wir haben zu diesem Thema vor zwei Wochen einen Aktionsplan veröffentlicht und mit der UNO eine internationale Konferenz veranstaltet.

Bei der Prävention von gewalttätigem Extremismus handelt es sich um ein sicherheitspolitisches Anliegen, für das wir das aussenpolitische Instrumentarium umfassend einsetzen, inklusive die Entwicklungszusammenarbeit.

Es wird Sie nicht überraschen, dass wir dabei einen inhaltlichen Fokus auf die Jugend legen. Indem wir zu besseren Perspektiven für die Jugend beitragen, schwächen wir mittel- und langfristig die Rekrutierungsbasis für Terrorgruppierungen wie IS.

Gemäss dem jüngsten Arab Youth Survey halten die arabischen Jugendlichen die Arbeitslosigkeit für den wichtigsten Faktor, warum sich junge Menschen dem IS anschliessen.  Wenn wir uns vor Augen halten, dass 90% der Jugendlichen weltweit in Entwicklungsländern leben, zwei Drittel davon unterbeschäftigt und allein in der arabischen Welt 75 Millionen junge Menschen arbeitslos sind, dann erkennen wir vor allem eins: Bildung und Jobs sind essentiell um dem gewalttätigen Extremismus vorzubeugen.

Hier kann die Schweiz wiederum eine ihrer Stärken einbringen. Die Förderung der Berufsbildung ist seit jeher ein Schwerpunkt der Schweizer Entwicklungshilfe. Allein in der letzten Legislaturperiode ermöglichte die Schweiz über 300‘000 Personen in 20 Schwerpunktländern eine Berufsausbildung. Mit der neuen Botschaft will der Bundesrat die Mittel für die Grund- und Berufsbildung um 50% erhöhen. Das ist eine Investition für Entwicklung und Frieden und für die Prävention von Terrorismus.

Das zweite Beispiel betrifft die Migration. Die Flüchtlingskrise, die uns alle seit Monaten beschäftigt. Die Frauen, Männer, Familien und, besonders erschütternd, die vielen allein reisenden Kinder, die vor Krieg und Perspektivenlosigkeit zu uns fliehen wollen. Ich bin überzeugt: Sie und ich, die meisten von uns würde dasselbe tun wenn wir in der Lage dieser Menschen wären.

Für die Flüchtlingskrise gibt es keine schnelle und einfache Lösung. Aber die Schweiz engagiert sich stark und setzt ihre Instrumente der internationalen Zusammenarbeit koordiniert ein, um konkrete und nachhaltige Antworten auf die Krise vor Ort zu geben. Wir leisten Nothilfe in Syrien und den Nachbarstaaten. Wir setzen uns für den Schutz von Migranten in den Erstaufnahmeländern ein und unterstützen die lokale Bevölkerung darin, die enormen Herausforderungen zu bewältigen. Wir helfen mit, dass Flüchtlinge in den Herkunftsregionen eine nicht von Nothilfe abhängige Existenz aufbauen können. Wir tun dies, indem wir wie in Jordanien und Libanon Schulen bauen und Jobprogramme für Flüchtlinge unterstützen oder wie in Kenia eine Berufsbildung für junge Flüchtlinge anbieten.

Und natürlich bearbeiten wir die Fluchtursachen – mit unserem Engagement für Frieden, für gute Regierungsführung und für sozio-ökonomische Entwicklung. Dort, wo sie kann und zugelassen wird, behandelt die Schweiz die migrationspolitischen Herausforderungen an ihren Wurzeln.

Meine Damen und Herren

Die neue Botschaft ist eine Chance. Es geht um viel Geld, aber es ist Geld, das wir mit grossem Nutzen einsetzen. Sparen wir nicht am falschen Ort. Investieren wir knapp einen Franken pro Bürger pro Tag in die Prävention und um hilfsbedürftigen Menschen vor Ort ein Leben in Würde zu ermöglichen. Regelmässige Umfragen wie die Jahresstudie Sicherheit der ETH zeigen, dass die Schweizer Bevölkerung bereit ist, diese Investition mitzutragen. Wir alle wissen: Eine bessere Zukunft für die Menschen in Not ist auch eine bessere Zukunft für uns.

Und damit komme ich zum Schluss:

Welche Aussenpolitik wollen wir für unser Land? Ich habe Ihnen heute die Sicht des Bundesrats dargelegt.

Wir wollen eine tragfähige Partnerschaft mit der EU. Wir wollen gleichzeitig eine starke globale Präsenz der Schweiz. Und wir wollen mit den inneren Stärken der Schweiz zu den Bemühungen um Frieden, Sicherheit und Entwicklung beitragen. Wir wollen Brücken bauen und Impulse geben für nachhaltige Lösungen für Krisen und globale Herausforderungen.

Die Schweiz soll die Welt mitgestalten – mit einer Aussenpolitik, die die Werte ihrer Bürger reflektiert. Einer Aussenpolitik, wie sie nur die Schweiz haben kann, zum Wohle unseres Landes, unserer Jugend und den Generationen nach uns.

Ich danke Ihnen und freue mich auf die Diskussion.


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Ultima modifica 19.07.2023

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