28.02.2017

Speaker: Pascale Baeriswyl

Sehr geehrter Herr Bundesrat, liebe alt Bundesrätinnen
Sehr geehrte National- und Ständeräte und -rätinnen
Liebe Kolleginnen von Alliance F, liebe Frau Volpe, liebes Publikum

Hand aufs Herz: Haben die vielen Frauen unter Ihnen sich im Geschichtsunterricht manchmal auch ein bisschen gelangweilt? Beschlich Sie – ob all der Kriege, Helden und Staatsmänner – bisweilen dieses Gefühl, dass dies mit Ihnen nicht so viel zu tun hatte?

Eigentlich ist das schade, denn hinter traditioneller Ereignisgeschichte verbergen sich spannende Fragen an die Vergangenheit. Wir kennen zweifelsohne „historische“ Ereignisse. Aber hatten sie für uns alle die gleiche Bedeutung? Wurde beispielsweise 1848 für uns Frauen ein Staat gegründet, gar eine Demokratie? Und wo finden wir in unseren Geschichtsbüchern den Alltag unserer Grossmütter und Urgrossmütter, die selten über Eigentum verfügten, ihren Verdienst dem Ehemann abgeben mussten, nicht zur Urne schreiten durften und von denen wenige Zugang zu höherer Bildung genossen? Diese Frauen – so wissen wir heute besser als während unserer Schulzeit – waren aktiv, kreativ und agierten strategisch, bevor sie dennoch fast in den Schatten der Geschichte abglitten.

Was für eine grosse Ehre ist es für mich deshalb heute Abend mit unserem Gleichstellungsminister und mit Ihnen allen an dieser Vorpremière teilnehmen zu dürfen, wo die Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung ins Licht gerückt wird und unzählige Akteurinnen und viele Akteure, die sich ebenfalls stets für die Gleichstellung eingesetzt haben, persönlich anwesend sind. Es strotzt hier gleichermassen vor Geschichtsdrive. Und ich gratuliere Ihnen, Frau Volpe, ganz herzlich zu ihrem Film und zum Prix de Soleure und danke Ihnen von Herzen dafür, dass sie uns dieses Stück Schweizer Vergangenheit in Bildern zurückgeben. Die Geschichte von uns allen, ob Frauen oder Männer.

Dass der Film eine Comédie humaine wurde, die neben dem Drama den Sinn fürs Komische nicht aus den Augen verliert, ist ein Zeichen der Stärke und Reife der Frauenbewegung. Doch wie heisst es: Comedy is tragedy plus time. Wenn wir nachher über die absurden Seiten des Geschlechterkampfs herzhaft lachen, täuscht uns das nicht darüber hinweg, dass der Weg steinig, lang und schmerzvoll war. Dass Frauen heute bei uns am öffentlichen Leben teilhaben können, verdanken wir dem Mut, der Selbstlosigkeit und der Beharrlichkeit von Hundertausenden von Frauen, die gegen diese „göttliche“ Ordnung antraten und dafür grosse, ja häufig zu grosse, Opfer bringen mussten.

Erinnern wir uns an Olympe de Gouges, eine Schriftstellerin in Paris, die uns 1791 ihr freches „Homme, es-tu capable d’être juste?“ entgegen schmetterte. Mit ihrer Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin verfasste sie ein revolutionäreres Dokument als die berühmte französische Menschenrechtserklärung, die sich nur an den mündigen Bürger richtete. Sie prägte als erste den Begriff der Menschenwürde, forderte Unterstützung für Kindsmütter, Unterhaltsbeiträge bei einer Scheidung, ein Erbrecht für die Kinder und die Abschaffung der Sklaverei, fast 200 Jahre vor der Zeit: « La femme a le droit de monter sur l’échafaud. Elle doit avoir également le droit de monter à la Tribune.» Für dieses Recht, zu sprechen, das sie sich nahm, wurde sie 1793 mit der Guillotine hingerichtet.

Das Beispiel zeigt, dass Frauenrechte bereits bei den ersten demokratischen Gehversuchen ein Thema waren. Als erste Provinz der Welt führte 1853 Vélez in Kolumbien das Frauenwahlrecht ein. Die Frauen Neuseelands erhielten 1893 das aktive Wahlrecht, 1906 folgte Finnland, 1913 Norwegen, 1915 Dänemark und Island, 1917 Russland…...In den Vereinigten Staaten erkämpften es sich die Frauen im Jahr 1920. Ihr Slogan damals: «Roll up your sleeves…and set your mind to making history...»

Heute gilt: Set your mind to continuing history: Hier in der Schweiz und international.

Lassen Sie mich deshalb drei Stränge der Schweizer Aussenpolitik darlegen, wo wir uns für mehr Gleichberechtigung einsetzen, so wie es als Ziel auch in unserer Verfassung steht: 

  • Im Jahr 2015 verabschiedete die UNO mit den sogenannten Sustainable Development Goals eine visionäre Agenda für das Jahr 2030. Diese Agenda nahm mit ihrem Motto „Leave no one behind“ die Antwort auf populistische Bewegungen vorweg. Die Schweiz setzte sich mit anderen Ländern erfolgreich dafür ein, dass eine Geschlechterperspektive in dieses Dokument Eingang fand. Der neue UNO-Generalsekretär, Antonio Guterres, möchte bis in vier Jahren einen Frauenanteil von 50% in den Toppositionen der UNO erreichen. Und jedes Land muss seine Hausaufgaben machen. So ist in der Schweiz der 21.Oktober jeweils "equal pay day", das Datum nämlich, ab dem Frauen im Schnitt bis Ende Jahr gratis arbeiten... eine Visualisierung des nach wie vor bestehenden Lohnunterschiedes in unserem Land.
  • Bereits im Jahr 2000 vertrat der UNO-Sicherheitsrat mit der Resolution 1325 die Überzeugung, dass Frauenrechte zentrale Voraussetzung, aber auch Garantie für Frieden und Sicherheit sind. Die Schweiz erarbeitete früh einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung, und unser Land engagiert sich aktiv dafür, dass mehr Frauen in Friedensprozesse einbezogen werden. Denn wie eine Studie jüngst wieder zeigte, erhöht dies die Chance auf einen dauerhaften Frieden.
  • Schliesslich engagiert sich die Schweiz in unzähligen Programmen für bessere ökonomische Perspektiven von Frauen in Entwicklungsländern. Ein schönes Beispiel sind Mikrokredite und der Zugang zu Finanzdienstleistungen, z.B. zu eigenen Bankkonten oder Versicherungen, die es Frauen ermöglichen, eigenes Einkommen zu erwirtschaften. Dass sich die Investition für die Wirtschaft auszahlt, ist mittlerweile erwiesen. Häufig gibt es einer Familie die Grundlage, in ihrer Heimat zu bleiben und auf Flucht oder Auswanderung zu verzichten. 

Schliessen möchte ich mit Vorbildern, denen ich rund um die Welt begegnen durfte: Ellen Johnson Sirleaf, Präsidentin von Liberia, die erste Frau, die 2006 durch eine Wahl das Amt eines Staatsoberhauptes in Afrika erlangte. 2011 erhielt sie den Friedensnobelpreis. Oder Malala aus Pakistan, die ihren Wissensdurst mit einem Kopfschuss bezahlte, und heute als Botschafterin für das Recht auf Mädchenbildung auftritt. Und schliesslich Cora Weiss, prominente Friedensaktivistin aus New York, die schon so häufig für Menschenrechte demonstrierte. Mit fast 90 Jahren zieht sie heuer erneut auf die Strasse, damit das, wofür sie ein Leben lang gekämpft hat, für ihre Enkelinnen und Enkel bestehen bleibt.

Viel haben Frauen und Männer, Sie und wir, rund um den Globus erreicht: Von der Festschreibung der Chancengleichheit in der UNO Menschenrechtserklärung von 1948, über das Diskriminierungsverbot in der europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 bis zur umfassendsten Frauenrechtskonvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW) von 1979. Gestern hat der Ständerat grünes Licht für die Ratifikation der sogenannten Istanbul Konvention des Europarats zum Schutz vor häuslicher Gewalt gegeben. Der Bundesrat hofft, dass sie auch im Nationalrat eine Mehrheit findet.

Diese völkerrechtlichen Grundlagen für Gleichberechtigung sind keine göttliche Ordnung. Ihre Umsetzung bleibt ein irdischer Kampf. Schreiben wir die Geschichte fort. Partnerschaftlich zwischen den Geschlechtern. Zusammen Und lassen wir uns dabei vom Mut und der Durchhaltekraft unserer Mütter, Grossmütter und Grossväter im Film inspirieren.

Ich wünsche Ihnen einen grossartigen Abend.

Vielen Dank.


Last update 29.01.2022

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