Artikel, 02.05.2013

Welttag der Pressefreiheit, 3. Mai, «Safe to Speak: Securing Freedom of Expression in All Media»

Danish Karokhel nimmt einen blauen Ordner aus dem Gestell in seinem spärlich beleuchteten Büro und blättert durch die Kopien von E-Mail-Drohungen, die die Nachrichtenagentur Pahjwok von den Taliban erhalten hat. Karokhel liest und übersetzt ein E-Mail: Die Taliban beschweren sich wegen einer Reportage über einen Angriff, der zunächst den Taliban zugeschrieben wurde. Die Autoren des E-Mails geben der Agentur eine Woche Zeit, den Fehler zu «korrigieren». Andernfalls würden sie «Massnahmen ergreifen», da es sich beim Reporter um einen «Sprecher der Marionettenregierung» handeln müsse.
Karokhel grinst breit, schliesst den Ordner und legt ihn beiseite. Der Verleger und Journalist lacht oft, selbst wenn er über die Drohungen spricht, die die Agentur jeden Monat erhält, oder über die«Regierungsangehörigen», die gegen Medienfreiheit sind und regelmässig Reporter bedrohen. Damit beweist er, dass in Afghanistans gefährlicher Medienlandschaft Humor eine wichtige Überlebensstrategie ist.

Von 0 auf 50 in 11 Jahren
Der beispiellose Boom der afghanischen Medien in den letzten elf Jahren ist hauptsächlich der Unterstützung durch die ausländische Gebergemeinschaft zu verdanken. Während es 2001 nur einen von den Taliban betriebenen Radiosender gab, zählt das Land heute 150 unabhängige Lokalradios, 50 kommerzielle TV-Sender, eine Handvoll Zeitungen sowie den staatlichen Fernsehsender RTA. Trotz der Vielfalt an Medienbetrieben und neuen Gesetzen leben afghanische Medienschaffende in der Zwickmühle: Sie müssen zwischen Drohungen und Schikanen von Seiten der Taliban und der Regierungsmitgliedern navigieren.
Mit dem im Zusammenhang mit dem Rückzug der ausländischen Truppen erwarteten Wirtschaftsrückgang 2014 sowie dem unsicheren Ausgang der Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr sind die Zukunft der afghanischen Medienvielfalt und der Pressefreiheit in der Schwebe. Offen ist, wie viele dieser unabhängigen Medienbetriebe überleben werden und wie frei Medienschaffende berichten können.

Von verschiedenen Seiten unter Druck
Pahjwok, das in den beiden Amtssprachen Afghanistans – Dari und Paschto – «Echo» bedeutet, wurde im März 2004 gegründet. Zunächst war es ein Projekt des britischen Institute for War and Peace Reporting (IWPR), das rund 1000 afghanische Journalistinnen und Journalisten in acht Regionen des Landes ausbildete. Unter den Ausbildnern war auch Karokhel. 2005 löste sich Pahjwok vom IWPR und wurde eine unabhängige Nachrichtenagentur, die aber immer noch teilweise auf ausländische Hilfe angewiesen ist, um die Agentur mit ihren 70 Redaktionsmitgliedern (davon elf Frauen) zu betreiben. 2008 erhielten Karokhel und Farida Nekzad, leitende Redakteurin, vom Committee to Protect Journalists den «International Press Freedom Award».
Karokhel spricht viel über Qualität und Ausgewogenheit. Trotz der schwierigen Umstände, in denen afghanische Journalisten arbeiten, legt die Agentur grossen Wert darauf. Er erklärt warum.
Auf der einen Seite stehen die Taliban. Als sie an die Macht kamen, liessen sie Fernsehgeräte zerstören. Heute betreiben sie aktiv Medienarbeit, sie unterhalten eine Website mit Videoaufnahmen und haben eigene Sprecher. Gemäss einem Bericht von der BBC verschicken sie nicht nur Droh-E-Mails, sondern üben auch Druck auf die Medien aus, wenn diese ihre Erklärungen nicht veröffentlichen.
Auf der anderen Seite steht die Regierung, die gemäss Karokhel in drei bis vier Gruppen aufgeteilt werden kann. Präsident Hamit Karzai setze sich für eine unabhängige und freie Presse ein. Er werde in den Medien häufig kritisiert und stelle sich auch harten Interviewfragen. «Er will freie Medien», sagt Karokhel. Wer nächstes Jahr auf ihn folgt, ist noch nicht klar. Aber afghanische Medienschaffende sind besorgt: «Wir glauben nicht, dass wir die gleiche Freiheit haben werden wie in den letzten zehn Jahren.»

«Sie mögen uns nicht»
Es gibt auch gewisse Regierungsvertreter, «die die Medien nicht mögen, die nicht wollen, dass wir investigativen Journalismus betreiben, sie arbeiten nicht mit uns zusammen. Manchmal interveniert Karzai, wenn Gruppen oder Personen Medienunternehmen bedrohen oder belästigen», sagt Karokhel.
Und da sind auch die Provinzregierungen. «In Kabul kennt die Regierung die Medien, wir sind hier eine starke Gruppe. Es gibt weniger Sicherheitsprobleme. Anders ist es in den Provinzen, wo die Regierungsvertreter die Gesetze und Rechte zum Schutz von Journalisten nicht kennen, und ihnen Schwierigkeiten bereiten», meint Karokhel. «Wenn irgendjemand einem Journalisten in einer der Provinzen Schwierigkeiten bereiten will, so kann er dies, aber in Kabul ist es schwieriger.»
In einigen Provinzen werden Medienschaffende bestochen. «Das ist auch eine Art von Druck auf die Medien und ihre Unabhängigkeit», sagt Karokhel. Wenn das Redaktionsteam von Pahjwok feststellt, dass die Artikel eines Reporters plötzlich viele lobende Worte für die Provinzregierung enthalten und jegliche Kritik fehlt, muss das Team in gewissen Fällen den Reporter ersetzten, um die journalistische Objektivität der Agentur zu wahren.

Medienschaffende zensurieren sich selber
In anderen Provinzen würden Medienschaffende um ihre Sicherheit fürchten, wenn sie kritische Artikel veröffentlichen. Verschiedene Journalisten seien schon verhaftet oder eingeschüchtert worden. «Viele fangen dann an, sich selber zu zensurieren. Wenn sie jedoch weiterhin kritisch über die Lokalregierung berichten, wirft sie ihnen einfach eine gewisse Nähe zu den Taliban vor, um ihnen Schwierigkeiten zu bereiten, oder sie schicken bewaffnete Gruppen, die dann Druck auf sie ausüben», sagt Karokhel.
Gemäss Informationen der afghanischen Medienlobbygruppe NAI wurden im letzten Jahr 26 afghanische Journalisten körperlich angegriffen, vier wurden verhaftet und 28 bedroht. In 65% der Fälle von gewaltsamem Vorgehen gegen Journalisten waren laut NAI «Regierungsvertreter» involviert.
Auch Parwiz Kawa, Dichter, Schriftsteller, Gründer und Chefredaktor von Asht-e-subh (8 Uhr), einer der wenigen Zeitungen Afghanistans, war Zielscheibe von Angriffen. Die angesehene Zeitung werde vor allem von der Regierung unter Druck gesetzt. «Weil wir über die Errungenschaften und die Defizite der Regierung schreiben, weil wir kritisch sind», meint Kawa. Die Zeitung, die Kawa 2007 mit einer Gruppe von Freunden lancierte, hat sich verpflichtet, über Menschenrechtsanliegen zu berichten. Sie erhielt 2012 von Reporter ohne Grenzen den «Prix Liberté de la Presse».
Als die Zeitung eine Sonderausgabe über «Landnahme» («land grabbing») herausgab und darin Organisationen und Regierungsmitglieder nannte, die in solche Geschäfte verwickelt sind, seien «viele Besucher» zu den Büros der Zeitung gekommen, um Kawa zu sehen. Er forderte Polizeischutz. Während zwei Monaten bewachten zwei Polizisten die Büros der Zeitung. Während dieser Zeit erhielt Kawa fast jeden Tag Drohungen. Seither gibt es kein Firmenschild mehr am Gebäude der Zeitung.

Tabuthemen
«Alle Medienschaffenden wissen, welche Themen tabu sind», meint Kawa. Das 2009 verabschiedete Mediengesetz listet acht Themen auf, über die nicht berichtet werden darf. Darunter fallen jegliche Artikel, die sich «gegen den Islam» richten. Was «anti-islamisch» ist, könne jedoch recht breit interpretiert werden. Eigentlich hätte eine neue Medienkommission gegründet werden sollen, der auch Mitglieder der Zivilgesellschaft angehören. Aber die alte Kommission, die seit 2004 existiert, ist trotz Kritik von Journalistenorganisationen immer noch aktiv.
Ein neues Gesetz über die Regelung des Zugangs zu Informationen wird bald verabschiedet. Es soll den Medienschaffenden den Zugang zu Regierungsinformationen erleichtern. Karokhels Team wartet schon seit Monaten auf eine Antwort vom Ministerium für Bergbau für einen Artikel, den die Nachrichtenagentur Pahjwok über Bestechungsvorfälle im Bergbausektor herausgeben will.
«Ich glaube, dass die Behörden mit diesem neuen Gesetz stärker für die Rechte der Journalisten bezüglich Informationszugang sensibilisiert werden. Beim neuen Mediengesetz geht es um den Zugang zu Informationen», sagt Karokhel. «Wir haben zwar viele nette Wörter, aber das Problem wird darin bestehen, diese in die Praxis umzusetzen.» Die DEZA unterstützt das «Netzwerk Zivilgesellschaft und Menschenrechte», eine NGO, die sich für die Verabschiedung des Gesetzes über die Regelung des Zugangs zu Informationen stark macht.

«Lebendige und dynamische» Medien
Die Sprecher der UNO-Mission in Afghanistan (UNAMA) und des afghanischen Aussenministeriums betrachten das neue afghanische Mediengesetz als das fortschrittlichste Gesetz im Land und als das «dynamischste» und «lebendigste» Gesetz in der Region. «Afghanistan erfährt eine revolutionsähnliche Veränderung in der Medienlandschaft, namentlich in den unabhängigen Medien», erklärt der Sprecher des Aussenministeriums, Janan Mosazai. «Die Medien sind den Regierungsstellen gegenüber meist kritisch eingestellt. Sie sagen, was sie wollen, und sie berichten, worüber sie wollen. Die unabhängigen Medien gehören zu unseren wichtigsten und fassbarsten Errungenschaften», ist Mosazai überzeugt.
Für UNAMA-Sprecher Nazifullah Salarzai stellt der Aufstieg der unabhängigen Medien eine «Schlüsselerrungenschaft» der afghanischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft dar, aber er beklagt die schlechte Qualität der Berichterstattung und das Fehlen eines investigativen Journalismus. Viele Journalisten «sind faul oder verstehen den Sinn des Journalismus nicht», sagt er.
Mosazai meint zudem, dass die Verpflichtung der Medien zu einer freien Berichterstattung einen «hohen Preis» hat, den in erster Linie die afghanischen Journalisten bezahlen, die sich dafür einsetzen. Er relativiert Afghanistans Position auf der Rangliste der Pressefreiheit 2013 («World Press Freedom Index»). Das Land liegt von 179 Ländern auf Platz 128. «Man muss die Situation von heute aber mit derjenigen von 2001 vergleichen», meint er.

Unsichere Zukunft
Afghanistans Medien haben es seit Ende der Talibanherrschaft weit gebracht. Die Bevölkerung vertraut den Medien und verlässt sich darauf, dass sie Ungerechtigkeiten aufdecken und eine Wächterrolle übernehmen. Aber die Zukunft der unabhängigen Medien Afghanistans ist gefährdet, namentlich nach 2014. Die meisten Medien überleben heute dank Geberunterstützung. Die Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung, USAID, gehört zu den wichtigsten Geldgebern für eine unabhängige Berichterstattung. Aber auch Nichtregierungsorganisationen wie die Open Society Initiative haben wesentlich zur Förderung der Medienvielfalt beigetragen.
«Die Gebergemeinschaft hat wohl in keinem anderen Land und zu keiner anderen Zeit eine so wesentliche Rolle gespielt bei der Förderung unabhängiger Medien wie in Afghanistan» schreibt die BBC Media Action in einem 2012 veröffentlichten Bericht über afghanische Medien.
Die Zukunftsfähigkeit vieler dieser neuen Medienbetriebe ist fraglich. Asht-e-subh finanziert sich nur zu 30% selber, Pahjwok zu 75%. Und der Werbekuchen ist klein: Der Anzeigemarkt wird auf jährlich 20 Millionen USD geschätzt und soll ab 2014 eher schrumpfen.
Es gibt Befürchtungen, dass der Rückzug der ausländischen Truppen negative Auswirkungen auf die Medienlandschaft und die Freiheit der Medienschaffenden haben wird. «Es gibt berechtigte Annahmen, dass gewisse Verlage eingehen werden, wenn die Geberbeiträge zurückgehen, oder dass sie Parteien, religiösen oder extremen Kräften zum Opfer fallen», schreibt BBC Media Action.
Kawa befürchtet seinerseits, dass der Rückgang der Hilfe der internationalen Gemeinschaft in erster Linie jene Medien treffen wird, die wirklich unabhängig sind und kritisch berichten. «Sie unterstützen Werte wie Menschenrechte, Pressefreiheit oder die Rechte der Frauen. Wenn sie die Unterstützung [der Geber] verlieren, werden sie verschwinden.»

Letzte Aktualisierung 13.01.2023

Kontakt

Kommunikation EDA

Bundeshaus West
3003 Bern

Telefon (nur für Journalisten):
+41 58 460 55 55

Telefon (für alle anderen Anfragen):
+41 58 462 31 53

Zum Anfang