Schweizer Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich mit dem Gedenken an den Holocaust

Artikel, 14.07.2017

Zwecks Auseinandersetzung mit dem schwierigen Thema der Schoah haben Lehrerinnen aus Biel und Genf ihre Schülerinnen und Schüler mehrere Memoirenhefte von Überlebenden übersetzen lassen. Wie haben die Jugendlichen diese tiefgründige Erfahrung erlebt? Bericht einer Begegnung.

Zwei Schülerinnen betrachten ein Ausstellungsposter.
Ausstellung « The Last Swiss Holocaust Survivors » in Genf, die in der Folge von mehreren Schweizer Vertretungen im Ausland unterstützt und gezeigt wurde © FDFA

Es ist Montag, der 26. Juni 2017. Anlässlich der ersten Plenarsitzung der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) unter Schweizer Vorsitz ist der Konferenzsaal in Genf voller Menschen. Holocaust-Überlebende sowie Schülerinnen und Schüler aus Biel und Genf sind angereist, um die Resultate ihrer Arbeit vorzustellen: die Übersetzung von fünf Memoiren von Überlebenden aus dem Deutschen ins Französische. 

Ivan Lefkovits, Holocaust-Überlebender, eröffnet die Sitzung mit der Frage zur Daseinsberechtigung des Projekts. «Soll das Gedenken an den Holocaust der jungen Generation überhaupt weitervermittelt werden? Sollten wir nicht einfach einen Strich unter die Vergangenheit ziehen und den Blick in die Zukunft richten?» Im Publikum herrscht absolute Stille. 

Nach einer kurzen Pause folgt die Antwort: «Es gibt mindestens zwei Gründe, weshalb wir zur Überlieferung verpflichtet sind. Erstens müssen wir, die wir noch darüber berichten können, es für jene sechs Millionen Menschen tun, die es nicht mehr tun können (Anm. d. R.: über sechs Millionen Juden wurden während des Zweiten Weltkriegs in Europa vernichtet). Und zweitens kann die Kenntnis der Vergangenheit dazu beitragen, dass sich so etwas nicht wieder ereignet.» 

Es war unsere Pflicht, die passenden, die richtigen Worte zu finden. 

Fragt man die Schülerinnen und Schüler, was ihnen von diesem Projekt in Erinnerung bleibt, nennen sie einhellig die bereichernde Arbeit. Die Wörter «Emotionen», «Schwierigkeit», «Weitergabe» werden am häufigsten genannt.

Eine Schulklasse aus Biel arbeitete an der französischen Übersetzung der Memoiren von Klaus Appel «Eines Morgens waren sie alle weg». Die Schülerinnen und Schüler berichten: «Uns ist bewusst, welch Privileg diese Arbeit für uns war. Wir waren die letzte Klasse, die sich mit Klaus Appel ausgetauscht hat (Anm. d. R.: Klaus Appel verstarb am 13. April 2017). Er hatte eine unglaubliche Ausstrahlungskraft. Die Nachricht seines Todes und die Tatsache, ihm die fertige Übersetzung nicht mehr zeigen zu können, machten uns traurig. Wir hatten zuvor immerhin die Gelegenheit, ihm einige Passagen auf Französisch vorzulesen. Er zeigte sich berührt.»

Die Schülerinnen und Schüler betonen auch, wie schwierig ihre Aufgabe war. «Beim Übersetzen war es unsere Pflicht, die passenden, die richtigen Worte zu wählen, um seine Geschichte und seine persönlichen Gefühle aus dem Deutschen ins Französische zu übertragen. Das war nicht einfach. Wir haben aus dieser Erfahrung viel gelernt. Die Geschichte muss in unserem Leben präsent bleiben.»

Reif genug für das Thema Holocaust

Die Klasse aus Genf, die an der französischen Übersetzung der Memoiren von Fabian Gerson «… ohne Abschied von ihnen nehmen zu können!» gearbeitet hat, fand es besonders interessant, sich mit der Geschichte einer Person «als Ganzes» zu beschäftigen.

Christa Markovits, die sich mit einer anderen Klasse aus Genf austauschte, erzählt ihrerseits: «Ich war von der Arbeit der Schülerinnen und Schüler beeindruckt. Sie haben mir bei unserem Austausch keine persönlichen Fragen gestellt. Eine Frage kam jedoch immer wieder: ‹Haben Sie die Nazis gehasst?› Ich antwortete, dass ich nicht fähig sei, sie zu hassen. Die Schülerinnen und Schüler waren darüber erstaunt.»

Die Lehrerin wiederum betont, dass solche Projekte als «neue Form der Geschichtsbetrachtung» wichtig sind. Ausserdem sei für eine solche Arbeit eine entsprechende inhaltliche Vorbereitung nötig. «Meine Klasse war reif genug, um sich mit dem Holocaust zu beschäftigen, und sie hatte ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache, um die Übersetzung ins Französische zu bewerkstelligen.»

Letzte Aktualisierung 26.01.2022

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