«Die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung war hervorragend»
Ingenieur Hans Aschmann leitete 1960/61 den ersten von der Schweiz unterstützten Bau einer Hängebrücke in Nepal. Im Interview erinnert er sich an jenen Pioniereinsatz.
«Wohl wichtigstes Mitglied unserer Equipe war Ang Tsering Sherpa, ein erfahrener Bergführer. Er organisierte die Trägerdienste hervorragend.» © DEZA / Hans Aschmann
1960 steckte die Entwicklungszusammenarbeit noch in ihren Anfängen. Wie kamen Sie zu Ihrer Tätigkeit in Nepal?
Ich hatte das Technikum Winterthur absolviert und arbeitete dann auf 3000 Metern Höhe für eine Radarstation des Bundes. Es handelte sich um Kavernen- und Stollenbau, wo Felsanker eine wichtige Rolle spielten. Dort gewann ich technische Erfahrungen, die mir halfen, als ich von der Stelle in Nepal hörte und mich darum bewarb. Die Region interessierte mich einfach, ich hatte Sven Hedins «Transhimalaja» gelesen und kannte auch die Publikationen von Toni Hagen, der 13'000 Kilometer zu Fuss zurückgelegt hatte, um Nepal geologisch zu erfassen. Er spielte eine Vorbildrolle. Es dauerte dann noch ein Jahr, bis es soweit war, und so konnte ich mich weiter vorbereiten. Ich war damals 26.
Auch Sie hatten wohl lange Fussmärsche zu unternehmen?
Als ich in Kathmandu ankam, hatte ich Fragen über Fragen. Eines Tages sagte man mir: Geh jetzt einfach einmal! Es gab damals keine Strasse von Kathmandu nach Westnepal. Und so war ich fünf Tage zu Fuss unterwegs, um zum Ort des geplanten Brückenbaus zu gelangen. Es war eine tiefe Schlucht im Marsyandital.
Wie entstand das Projekt, das später derart Schule gemacht hat?
Die Amerikaner hatten mit den Behörden von Nepal den Bau von Hängebrücken vereinbart, kamen aber nicht voran, weil es an nepalesischen Fachleuten mangelte, um die Arbeit auszuführen. Der Leiter des Helvetas-Teams in Kathmandu, Rolf Wilhelm, war mit einer Amerikanerin verheiratet und hatte eine «special relationship» zur Entwicklungsorganisation der USA. Er schlug vor, mit Fachleuten und Ausbildung Beistand zu leisten.
Unterschied sich der schweizerische Ansatz vom bisherigen Vorgehen?
Wichtig war, dass für die geplante Brücke erstmals Stahlteile im Land hergestellt wurden, und zwar in der Werkstatt, die Helvetas in Kathmandu aufgebaut hatte. Nur die Drahtseile waren importiert und wurden dem nepalesischen Strassendepartement von den Amerikanern zur Verfügung gestellt. Das ganze Programm kann man nicht ohne die Werkstätten sehen, die später oft von ehemaligen Mitarbeitern jenes ersten Betriebs gegründet worden sind.
Auch für eine einfache Konstruktion dürften moderne Geräte und Maschinen erforderlich sein. Was hatten Sie in der abgelegenen Gegend zur Verfügung?
Wir brauchten einen Benzin-Bohrhammer und Bohrstangen für die Vorbereitung der Felsanker, eine hydraulische Presse um die Verankerung zu testen, und von Hand betätigte Habegger-Zuggeräte, um die Seile zu spannen. Alles musste aus der Schweiz beschafft und in Nepal zur Baustelle gebuckelt werden. Es ist unglaublich, welche Lasten die Träger transportierten.
Und wer führte die Arbeiten aus?
Es waren Leute aus den dortigen Dörfern. Sie waren als Bergbauern in ihrem täglichen Leben derart gefordert, dass sie für Lernprozesse sehr beweglich waren. Ihre Fertigkeiten zeigten sie, indem sie nach kurzer Zeit viele Arbeiten wie etwa auch Bambusgerüste ausführen konnten. Es waren mir zwei Techniker mitgegeben worden, die allerdings keinerlei Baustellenerfahrung hatten. Ausserdem begleitete mich ein Sherpa, der schon eine Himalaya-Expedition mitgemacht hatte. Dieser Nepalese sprach ein wenig Englisch. Die ganze Zusammenarbeit mit der Bevölkerung war hervorragend.
Wie wurden die Mitarbeitenden entschädigt?
Es wurde mir ein ganzer Rucksack voller kleiner Rupien-Noten mitgegeben, dazu ein Buchhalter, der die Löhne jeweils gegen einen Daumenabdruck ausgezahlt hat.
Die Brücke war gewissermassen ein Prototyp. Hat sie sich bewährt?
1967 führte ein extremes Hochwasser dazu, dass sich das Fundament eines Pylonen verschob und die Brücke praktisch zerstört wurde. Darauf ging ein Bauteam hin und sorgte mit dem vorhandenen Material für einen behelfsmässigen Steg. Was später geschah, weiss ich nicht.
Gab es für die weiteren Bauprojekte Lehren zu ziehen?
Meinem Nachfolger sagte ich: Auf der Baustelle braucht es unbedingt eine Funkverbindung, allein schon um den ganzen Nachschub an Material und Versorgungsgütern zu organisieren. Das fehlte mir damals, und ein Post-Bote nach Kathmandu benötigte für einen Weg hin und zurück fast eine Woche.
Aber das Prinzip war richtig?
In meinen Berichten hielt ich fest, dass man nicht bei jenem Brückentyp verharren sollte, bei dem die Tragseile über zwei Türme laufen und den Gehweg anheben. An vielen Stellen genügen moderne Hängelaufstege, die relativ flach durchhängen. Dieser günstigere Typ hat sich denn auch durchgesetzt.
Hätten Sie erwartet, dass der Hängebrückenbau derartige Ausmasse annehmen würde?
Es ging damals einfach darum, einen Anfang zu machen. Aber das Bedürfnis ist wirklich ungeheuer gross. Wer in der Monsunzeit die Wassermassen eines Flusses sieht, der im Winter nur ein Rinnsal war, kommt auf eine andere Welt. Brücken aus Bambusseilen hielten nicht lange. Es hatte auch oft Unfälle gegeben.
Von 1972 bis 1975 arbeiteten Sie nochmals in Nepal. Worum ging es?
Im zuständigen nepalesischen Strassendepartement gab es seit 1964 eine Hängebrücken-Abteilung. Ab 1972 half ich dort im Auftrag des Bundes, die damals lahmende Bautätigkeit voranzubringen. Es gelang, zusammen mit zwei weiteren Schweizer Mitarbeitern, Dieter Elmer und Thomas Neidhart, die Zahl der fertiggestellten Brücken von 2 bis 3 pro Jahr auf etwa 20 zu steigern. Ich selber arbeitete in jener Zeit ausschliesslich in der Brückenbauabteilung ohne Feldtätigkeit. Der frühere Baustelleneinsatz war hingegen die grösste Herausforderung, die ich beruflich in Nepal zu bestehen hatte.