«Wir wollen nicht über junge Menschen sprechen, wir wollen mit ihnen sprechen»

DEZA-Direktorin Patricia Danzi spricht im Interview über das International Cooperation Forum Switzerland und darüber, wieso es wichtig ist, gerade auch junge Menschen in die Debatte einzubeziehen. Bildung ist eines der wichtigsten Entwicklungsziele der Agenda 2030. Und gleichzeitig eines, das unter akuten Finanzierungsproblemen leidet. Was heisst das für die Betroffenen? Und vor allem: Wie können wir diesen Abwärtstrend stoppen? Das IC Forum 2023 im Zeichen der Bildung.

DEZA-Direktorin Patricia Danzi beim Besuch eines IT-Ausbildungszentrums in Nepal. Die Gesprächsteilnehmer sitzen in einem Kreis. Darunter auch zwei Schülerinnen und Schüler.

Eine gute Ausbildung mit Job-Perspektiven ermöglicht es jungen Menschen sich ihr eigenes Leben aufzubauen. Wie wichtig dabei eine enge Zusammenarbeit zwischen Regierung und Privatwirtschaft ist, erlebte DEZA-Direktorin Patricia Danzi beim Besuch eines IT-Ausbildungszentrums in Nepal © DEZA

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«Bildung ist grundlegend für ein selbstbestimmtes Leben»

Interview mit Anja Hochberg, Zürcher Kantonalbank
«Der Finanzsektor kann eine wichtige Rolle auf dem Weg zur nachhaltigen Finanzierung von Bildung spielen»

Interview mit Donika Dimovska, Jacobs Foundation
«In Bildung zu investieren ist etwas vom Wichtigsten, was wir als Gesellschaft tun können»

Am 15. und 16. Februar 2023 findet das IC Forum 2023 statt. In diesem Jahr steht das Thema Bildung im Mittelpunkt. Wieso gerade dieses Thema?

Bildung ist eines der 17 Entwicklungsziele, zu welchen sich alle Länder im Rahmen der Agenda 2030 verpflichtet haben. Und Bildung ist nicht nur ein Entwicklungsziel. Bildung ist ein Menschenrecht! Die Weltgemeinschaft hat klar gesagt, dass Bildung für alle – gerade auch für junge Frauen und Mädchen – wichtig ist. Nicht zuletzt auch, um die anderen Entwicklungsziele zu erreichen. Und obwohl sich alle einig sind, dass Bildung wichtig ist, gehört Bildung bis heute zu den am stärksten unterfinanzierten Sektoren. Bildungschancen sind zwischen Arm und Reich sowie zwischen Mädchen und Jungen nach wie vor sehr ungleich verteilt. Was das im Zweifelsfall bedeutet, sieht man aktuell in Afghanistan, wo Mädchen und junge Frauen nicht mehr zur Schule dürfen.

Kann man sagen, dass Bildung eines der wichtigsten Entwicklungsziele ist?

Bildung ist nicht das einzige Ziel. Aber es ist sicher ein sehr wichtiges. Man sollte das eine Entwicklungsziel nicht über das andere stellen. Das wird der Vielfalt der Herausforderungen nicht gerecht. Aber Bildung ist sicher ein wichtiges Ziel, weil es oftmals als Enabler für die anderen Entwicklungsziele fungiert. Wie wichtig Bildung ist, sehen wir auch bei uns selbst: Viele Entscheidungen, die wir im Leben treffen, sind mit der Frage verbunden, was das für unsere eigenen Ausbildungschancen oder für die Bildungschancen unserer Kinder bedeutet.

Bildung kann helfen, schneller aus diesen Engpässen herauszukommen. Gut ausgebildet zu sein, bedeutet auch, sich freier entscheiden zu können.

Bildung ist auch ein wichtiger Pfad aus der Armut. Korrekt?

Absolut. Es gibt Studien, die zeigen, welchen Einfluss ein Jahr mehr Bildung auf das Haushaltseinkommen hat, oder wie Hygiene und Gesundheit besser werden. Aber Bildung alleine löst die Armut auf der Welt nicht. Armut ist multidimensional und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wichtige Auslöser für Armut sind zum Beispiel bewaffnete Konflikte und Kriege. Das sehen wir aktuell in der Ukraine: Niemand würde behaupten, die Menschen in der Ukraine seien schlecht ausgebildet, und doch reisst ein solcher Krieg ein Land schnell zurück in die Armut. Ein anderes Beispiel ist die Pandemie: Wir haben während Corona gesehen, dass auch ein Land mit gut ausgebildeten Menschen schnell in eine Rezession fallen kann. Aber Bildung kann helfen, schneller aus diesen Engpässen herauszukommen. Gut ausgebildet zu sein bedeutet auch, sich freier entscheiden zu können. Dies wiederum hat Einfluss auf die Anpassungsfähigkeit und die Resilienz gegen Krisen. 

Die sechzehnte Folge des DEZA-Podcasts A Plus For Humanity wirft einen Blick nach Burkina Faso und zeigt, wie wichtig Bildung für Menschen ist, die in einem Land leben, das seit Jahren unter den Folgen bewaffneter Konflikte leidet.

Worin liegen die Schwierigkeiten des Bildungsengagements der Weltgemeinschaft?

Dass Bildung extrem wichtig ist, wird in der internationalen Zusammenarbeit grundsätzlich nicht infrage gestellt. Aber die Bedürfnisse sind – auch in anderen Bereichen – riesig. Und die Ressourcen knapp. Wenn ich einen Betrag X zur Verfügung habe, investiere ich den nun in die Bildung, in den Kampf gegen den Klimawandel oder in die Infrastruktur? Eine andere Herausforderung besteht sicherlich im zeitlichen Horizont: Bildung braucht ein langes Engagement, bis man Veränderungen sieht. Zudem braucht es stabile Strukturen und ein funktionierendes politisches System. In unserem volatilen Umfeld sind Stabilität und Geduld nicht immer gegeben.

In der Schweiz sind wir sehr stolz auf unser Bildungssystem. Zu Recht?

Ich denke schon. Wir haben sehr viele Möglichkeiten, auch bei der Weiterbildung. Passerellen erleichtern den horizontalen Einstieg selbst in die tertiäre Ausbildung, sofern die Motivation und die Fähigkeiten dazu vorhanden sind. Mit einer dualen Ausbildung lässt sich auch gutes Geld verdienen. Ich denke, diese Vielfalt und auch die Qualität, welche das Schweizer Bildungssystem bietet, sind einmalig.

Wenn wir darüber sprechen, wie multidimensional die Probleme dieser Welt sind, dann brauchen wir auch verschiedene Ansätze, um diese anzugehen.

Ist die Schweiz mit einem so guten Bildungssystem prädestiniert, das Thema auch in die internationale Zusammenarbeit zu übertragen?

Ein System oder eine Idee, die in einem Land funktioniert, lässt sich nicht ohne Weiteres auf ein anderes Land übertragen. Die Rahmenbedingungen müssen vorhanden sein. Überall gilt: Ein inklusives und vielfältiges Bildungssystem ist attraktiv und kann – richtig flankiert – auch ein Wirtschaftsträger sein. Zusammenarbeit im Bereich Bildung braucht viel Zeit und die Bereitschaft, sich wirklich auf ein Land und seine Menschen einzulassen. Vor allem auch auf junge Menschen, für die man das Bildungssystem aufbaut. Man muss zuhören und verstehen. Wo liegt eigentlich die Herausforderung? Woher kommt das Land? Kommt es aus einem Krieg? Aus einer Rezession? Ist es gespalten? 

Zwei jungen Ingenieurinnen stehen auf einer Baustelle und betrachten einen Plan.
Die jungen Ingenieurinnen Lanka und Nabina entwickeln und bauen neue Brücken, damit noch mehr Kinder in Nepal sicher zur Schule gehen können und so die Möglichkeit für eine nachhaltige Ausbildung erhalten. © Thibault Gregorie


Frauen der Brücken – eine Geschichte aus Nepal

In schwierig zugänglichen Regionen erlauben Brücken Familien ihre Kinder sicher zu Schule zu schicken. Was es heisst, wenn auch Mädchen diese Möglichkeit erhalten und wie aus ihnen erfolgreiche Ingenieurinnen werden, zeigt das Beispiel von Lanka und Nabina aus Nepal. Die beiden Frauen sind heute selbst im Brückenbau aktiv und können so ihren Lebensunterhalt selbst gestalten. Mehr Informationen auf der englischen Projektseite Frauen der Brücken.

Frauen der Brücken.

Am diesjährigen IC Forum sprechen Menschen aus unterschiedlichen Bereichen – aus der Politik, dem Finanz- und Privatsektor, aus der Philanthropie usw. Was erhoffen Sie sich von dieser Vielfalt an Teilnehmenden?

Eine Vielfalt an Ideen. Wenn wir darüber sprechen, wie multidimensional die Probleme dieser Welt sind, dann brauchen wir auch verschiedene Ansätze, um diese anzugehen. Wir haben Boden verloren, und unter der Pandemie und der Inflation hat auch der Bildungssektor stark gelitten. Viele Familien können sich die Ausbildung ihrer Kinder nicht mehr leisten. Es gilt, diesen Abwärtstrend zu stoppen und umzudrehen. Entwicklungszusammenarbeit ist längst nicht mehr nur Aufgabe der Staaten. Wir brauchen zwingend auch den Finanz- und Privatsektor, NGO und die Zivilgesellschaft. All diese Branchen sind am IC Forum dabei. Alle haben wir ein grosses Interesse an gut ausgebildeten jungen Menschen!

Was auch auffällt, ist, dass viele junge Menschen beim IC Forum dabei sind. Ein bewusster Entscheid?

Unbedingt! Wir wollen nicht über junge Menschen sprechen, wir wollen mit ihnen sprechen. Wir wollen von ihnen lernen und ihre Träume und Herausforderungen kennen und verstehen. Und vor allem haben sie viele gute Ideen.

Welche Rolle spielt Bildung in der nachhaltigen Entwicklung? Und welche Art Bildung brauchen wir, um für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet zu sein? Diskutieren Sie mit – das IC Forum 2023, unter dem Motto Education4Future.

IC Forum 2023: Education4Future

Eine gute Grund- und Ausbildung sind für eine nachhaltige Entwicklung zentral. Und doch sehen sich die weltweiten Bildungssysteme mit grossen Herausforderungen konfrontiert. Bereits vor der Pandemie erreichten sechs von zehn Kindern das Grundniveau im Lesen und Rechnen nicht. Covid-19 hat diese Situation verschärft. Zahlreiche Schulen wurden geschlossen, Kinder konnten nicht mehr lernen, und Jugendliche mussten ihre Ausbildung abbrechen.

  • Was haben solche Unterbrüche für Folgen?
  • Was können wir aus den letzten zwei Jahren für die Zukunft lernen?
  • Und wie können wir Bildungssysteme resilienter machen, um besser für die zukünftigen Herausforderungen und die Folgen des Klimawandels gerüstet zu sein?

Unter dem Titel «Education for Future» widmet sich das International Cooperation Forum Switzerland (IC Forum) 2023 dem Thema Bildung und bringt eine Vielfalt an Perspektiven zusammen. Vertreterinnen und Vertreter der Politik, der Forschung, dem Privat- und Finanzsektor, von NGO und der Jugend entwickeln gemeinsam Lösungen für globale Herausforderungen. Die hybride Veranstaltungsform sowie die interaktive Online-Plattform ermöglicht es allen Interessierten weltweit, aktiv an Diskussionen teilzunehmen. Im Rahmen der «Youth for Solutions» stehen am zweiten Tag insbesondere junge Menschen mit ihren Ansätzen im Fokus. 

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