Rolle des Waldes in der grünen Wirtschaft

Artikel, 11.07.2013

«In vielen Ländern wird die traditionelle Forstwirtschaft unterschätzt»

Gespräch mit Dr. rer. nat. Jürgen Blaser, Dipl. Forstingenieur ETHZ, Forstexperte im Globalprogramm Klimawandel der DEZA und Dozent für internationale Forstwirtschaft an der Berner Fachhochschule.

Im September 2012 fand in Lwiw (Ukraine) eine internationale Konferenz über die Förderung der grünen Wirtschaft in den Wäldern Osteuropas sowie Nord- und Zentralasiens statt. Unter der Schirmherrschaft des Waldforums der Vereinten Nationen und in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Kooperationsbüro in Kiev versammelten sich 130 Expertinnen und Experten aus 34 Staaten, vor allem aus Osteuropa. Am Schluss der Konferenz wurde eine Erklärung verabschiedet, die eine Reihe konkreter Massnahmen vorschlägt.

Herr Blaser, Sie hatten den Anstoss zu dieser Konferenz gegeben. Wie entstand dieses Projekt?

Seit mehr als 20 Jahren spielen der Wald und Waldressourcen eine entscheidende Rolle im Kooperationsprogramm der DEZA mit Osteuropa und Zentralasien. In der Wirtschaftsstrategie von Schwellenländern kommt dem Wald im Rahmen der integrierten ländlichen Entwicklung eine grosse Bedeutung zu, z.B. als Ressource für die Holzwirtschaft oder bei der Armutsbekämpfung auf lokaler Ebene, wo der Wald Arbeitsplätze schafft sowie Energie (Brennholz) und Nahrung liefert. Bei der Entwicklung einer grünen Wirtschaft im weiteren Sinne spielen Wälder als ergiebige, erneuerbare und leicht zugängliche Ressource eine Schlüsselrolle.

Vor allem aber ist die nachhaltige Bewirtschaftung dieser Wälder klimaneutral. Der Wald ist ausserdem strategisches Kernstück der schweizerischen Klimapolitik. Er kann den Klimawandel dämpfen und die Anfälligkeit für negative Auswirkungen der globalen Klimaerwärmung reduzieren. Aus diesem Grund unterstützt die DEZA in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Umwelt (BAFU) internationale Bemühungen zur Förderung der Rolle des Waldes als Motor für Entwicklung und ökologisches Wachstum. Die Länder Osteuropas, Nord- und Zentralasiens verfügen bei der Nutzung von Wäldern im Interesse der allgemeinen Entwicklung über ein riesiges Potenzial.

Die Schweiz übernahm im Rahmen der UNO eine Führungsrolle bei den Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft zur Förderung des Waldes im Rahmen der grünen Wirtschaft. Nur wenige Geberländer unterstützen die Schwellenländer mit so aktiven und dynamischen Entwicklungsmassnahmen wie die Schweiz. Die Schweiz gilt als Pionierin in diesem Bereich: Sie zeigt, wie der Wald in diesen Ländern zur Entwicklung einer ökologischen Wirtschaft beitragen kann. Die Partnerschaft zwischen der Schweiz und der Ukraine beruht auf einer mehrjährigen Zusammenarbeit im Bereich der ukrainischen Forstwirtschaft. Sie konzentriert sich auf forstwirtschaftliche Erzeugnisse und Dienstleistungen in den Bergwäldern der ukrainischen Karpaten.

Warum wurde Lwiw, eine ukrainische Provinzstadt, als Konferenzort ausgewählt? Waren Sie von der Anzahl und dem Niveau der Teilnehmenden überrascht?

Wir waren vom grossen Echo nicht unbedingt überrascht. Die Expertinnen und Experten aus der ganzen Region sind sehr daran interessiert, ihre Kenntnisse neuer, zukunftsrelevanter Themen wie der grünen Wirtschaft auszubauen. Sie setzen grosse Hoffnungen in grenzüberschreitende Initiativen, die neue Möglichkeiten für die Forstwirtschaft eröffnen. Als traditionell eher konservativer Sektor ist die Forstwirtschaft etwas rückschrittlich und unzeitgemäss. Das Interesse war deshalb enorm. Wir wollten möglichst viele Teilnehmende aus den Zielländern, aber auch aus Ländern ausserhalb Osteuropas, Nord- und Zentralasiens ansprechen, um das Verständnis für die Entscheidungsprozesse in der Region zu fördern.

Der Konferenzort Lwiw wurde nicht zufällig ausgewählt. Wir wollten das Forum an einem Ort abhalten, dessen natürliche Umgebung repräsentativ für unsere Anliegen ist. Wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass wichtige Veranstaltungen immer in Hauptstädten stattfinden. Ausserdem konnten wir von Lwiw aus drei thematische Ausflüge in die Karpaten durchführen, was von Kiew aus nicht möglich gewesen wäre.

Wir arbeiteten im Bereich Logistik mit FORZA zusammen, einer erfahrenen NGO aus der Westukraine. FORZA wurde ursprünglich von der DEZA gegründet, um ein ukrainisch-schweizerisches Forstprojekt umzusetzen. Dass FORZA auch heute noch ohne DEZA-Hilfe als NGO und Implementierungspartner für nationale und internationale Projekte besteht, ist besonders bemerkenswert.

In der Broschüre «The Lviv Forum on Forests in a Green Economy» sind die Ergebnisse der Konferenz dargestellt. Welche Herausforderungen sehen Sie, und welche Lösungsansätze schlagen Sie vor?

Es wurden zehn Handlungsfelder identifiziert und mögliche Massnahmen formuliert, die aufzeigen, wie der Wald in die Überlegungen zur grünen Wirtschaft integriert werden kann. Sie sollen den Entscheidungsträgern der einzelnen Länder der Region strategische Ansätze aufzeigen, mit denen sie vor dem Hintergrund ihrer eigenen Situation eines oder mehrere der zehn Handlungsfelder angehen können, um bei der Entwicklung einer grünen Wirtschaft etwas zu bewirken. Dabei kann der Fokus auf einem Land, aber auch auf einer ganzen Region liegen, in der die Wälder ein enormes Potenzial bergen.

Auf politischer Ebene könnten sich die Handlungsvorschläge massgeblich auf Reformen in der Forstwirtschaft auswirken, indem man Wald nicht mehr nur als begrenzte Ressource betrachtet, sondern ihn zu einem festen Thema der sozioökonomischen Entwicklung macht. Etliche Forstdienste in Osteuropa benötigen dringend solche neuen Ansätze, allein um ihr Überleben zu sichern. In vielen Ländern leidet die herkömmliche Forstwirtschaft an mangelnden Finanzen und mangelnder Wertschätzung. Sie droht zu verschwinden, mit allen ökologischen und makroökonomischen Folgen, die dies nach sich ziehen würde. Das Konzept der grünen Wirtschaft könnte somit ein wichtiger Impuls für eine ausgewogenere und nachhaltigere ländliche Entwicklungspolitik sein.

Glauben Sie, dass sich die Dinge mit diesem Programm verändern werden?

Wir sind nicht davon ausgegangen, dass diese Konferenz sämtliche Probleme löst. Der erste Schritt bestand jedoch darin, die dringendsten Probleme möglichst genau zu umschreiben und Lösungsansätze vorzuschlagen. Wir gingen partizipativ vor, sammelten Ideen und Lösungsvorschläge unter den Teilnehmenden. Die zehn Schlüsselbotschaften des Forums in Lwiw entstanden aus der Diskussion zwischen den Teilnehmenden und sind keine Patentlösung, die von Dritten geliefert wurde. Ich denke, dieses Vorgehen wurde geschätzt. Die lokalen Regierungen müssen nun ausgehend von den Empfehlungen konkrete Massnahmen erarbeiten. Die Umsetzung dürfte die grösste Herausforderung darstellen.

Sie haben mit dem Bundesamt für Umwelt, namentlich mit der Abteilung Wald, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zusammengearbeitet. Wie verlief die Zusammenarbeit mit diesen beiden Bundesbehörden? Ist dies ein Beispiel für einen «Whole of Government Approach», einen Gesamtregierungsansatz?

Wenn es um Forstwirtschaft auf globaler Ebene geht, arbeiten die verschiedenen Bundesstellen (DEZA, SECO, BAFU) tatsächlich eng zusammen. Zusätzlich zur koordinierten Positionierung der Schweiz in der internationalen Waldpolitik haben wir gemeinsam globale Initiativen wie die Dezentralisierung im Waldbereich lanciert. Das Forum in Lwiw über Wald und grüne Wirtschaft ist die logische Fortsetzung im Rahmen unseres Gesamtregierungsansatzes. Im Hinblick auf das Forum konnten wir vonseiten der UNO auf die Unterstützung der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (United Nations Economic Commission for Europe, UNECE) zählen. Die UNECE hat ihren Sitz in Genf.

Dennoch war sehr viel Engagement und Durchhaltevermögen erforderlich, um so einen komplexen Prozess zustande zu bringen. Selbstverständlich ist der Erfolg der Veranstaltung nicht nur darauf zurückzuführen, dass sie von der Schweiz finanziert und mitorganisiert wurde, sondern auch auf unsere Vorbildfunktion. Doch die Beteiligung der Schweizer Behörden scheint durchaus auch ein Grund für das grosse Interesse an der Veranstaltung gewesen zu sein. Somit dürfen wir in aller Bescheidenheit behaupten, dass die Konferenz von Lwiw ein beachtlicher Erfolg für die Schweiz auf dem internationalen Parkett war.

Am 10. Treffen des UNO-Waldforums in Istanbul im April 2013, an dem auch der Chef der Abteilung Wald des Bundesamts für Umwelt teilnahm, wurde die Erklärung von Lwiw aufgegriffen, was die Bedeutung dieses Dokuments unterstreicht. Wurden in Istanbul gegenüber Lwiw Fortschritte gemacht? Wenn ja, welche?

Am Treffen des UNO-Waldforums nahmen 780Personen teil, darunter mehrere Dutzend für die Forstwirtschaft zuständige Minister. Im Rahmen dieses riesigen Forums war die ukrainisch-schweizerische Nebenveranstaltung ein Erfolg. Mehr als sechzig Vertreterinnen und Vertreter von mehreren Dutzend Staaten und internationalen Organisationen beteiligten sich daran. Unter anderen nahm auch das Land mit dem weltweit grössten Waldgebiet, Russland, mit hochrangigen Beamten der staatlichen Forstagentur daran teil. Das Thema floss schliesslich in die allgemeine Beschlussfassung des Forums ein, und die grüne Wirtschaft wurde als wichtiges Mittel zur Finanzierung der nachhaltigen Waldbewirtschaftung anerkannt.

Glauben Sie, dass die Schweiz auch in Zukunft eine Führungsrolle in diesem wichtigen Bereich einnehmen kann? Welche Bedingungen müssten erfüllt sein, um diese Dynamik aufrechtzuerhalten?

Obwohl die Schweiz ein verhältnismässig kleines Land mit bescheidenen Waldressourcen ist (Russland verfügt z.B. über eine 540-mal grössere Waldfläche als die Schweiz), geniesst sie auf internationaler Ebene hohe Anerkennung. Unsere Meinung zu forstwirtschaftlichen Themen wird sehr geschätzt. Unsere eigene Geschichte hat gezeigt, dass wir den Wald nicht nur für sein Holz wertschätzen sollten. In der Schweiz wird die gesellschaftliche Rolle des Waldes anerkannt, und so können wir mit unserer Erfahrung Länder unterstützen, in denen ein ähnliches Entwicklungsparadigma noch nicht etabliert ist. Aus diesem Grund müssen wir unbedingt aktiv bleiben und im Bereich der internationalen Forstwirtschaft weiterhin eine Führungsrolle einnehmen.

Zehn Schlüsselbotschaften des Forums in Lwiw über Wald und grüne Wirtschaft

  • Den wahren Wert von Wäldern erkennen
  • Alle Ressourcen effizient nutzen
  • Energiebewusst handeln
  • Menschenwürdige und ökologische Arbeitsplätze schaffen
  • Gefahren für Wälder bekämpfen
  • Regierungsgrundsätze definieren und einhalten
  • Fähigkeiten ausbauen
  • Innovativ denken und Partnerschaften eingehen
  • Grenzüberschreitend zusammenarbeiten
  • Die Rolle der Forstwirtschaft bei der Entwicklung einer grünen Wirtschaft betonen

Jede Botschaft wurde mit einer Reihe möglicher Massnahmen ergänzt.