Ernährung in Berggebieten dank lokaler Innovation verbessern

Artikel, 16.10.2019

Mangelernährung, vor allem bei Frauen und Kindern steht in Bergregionen in Teilen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas oft an der Tagesordnung. Das Projekt «Nutrition in Mountain Agro-Ecosystems» mobilisiert einheimische Akteure, mit den örtlichen Bevölkerungen innovative Lösungen umzusetzen, um den Zugang zu einer ausgewogenen Ernährung das ganze Jahr über sicherzustellen. Das von der DEZA initiierte Projekt hat in fünf Ländern die Ernährung merklich verbessert.

Ein Mann begutachtet getrocknetes Gemüse in einer Trocknungsanlage.
Alisher Yuldashev, einer der Rural Service Providers in Kirgistan, begutachtet eine der Trocknungsanlagen. © COSUDE / IFOAM – Organics International

Dass das Leben in den Bergen herausfordernd ist, können unsere Vorfahren in der Schweiz bezeugen. Ohne Infrastruktur waren Familien auf sich selbst angewiesen, an Nahrungsmittel zu kommen und alle Familienmitglieder zu ernähren. Auch von Hungersnöten blieben sie nicht verschont.

Diese Situation ist noch heute in vielen Teilen unserer Erde Realität. Fast die Hälfte der Menschen in Ländern mit niedrigen Einkommen, die in ländlichen Berggegenden leben, sind Hunger, Armut, und Fehlernährung ausgesetzt. Insbesondere in den Bergen sind die Anbauphasen für Bäuerinnen und Bauern kurz und die Distanzen zu den Marktplätzen hingegen lang. Dies erschwert zum einen die eigene Produktion von genügend Nahrungsmitteln und zum anderen ein Einkommen aus dem Verkauf der Produkte zu generieren.

Um solchen Tatsachen entgegenzuwirken, entwickelte die DEZA mit ihren Partnern das Projekt «Nutrition in Mountain Agro-Ecosystems (NMA)», das in acht Ländern aktiv ist (Äthiopien, Ecuador, Indien, Nepal, Pakistan, Peru, Tadschikistan und Kirgistan). Das Ziel des Projektes ist den nachhaltigen Anbau und die Produktion von vielfältigen Lebensmitteln wie Früchte, Gemüse, Bohnen, Milch, Eier etc. zu fördern um eine gesunde Ernährung zu ermöglichen.

«Jetzt kann ich meinen Kindern Ziegenmilch geben»

Die Familie von Nurdinov Jeenbek mit der Milchziege, die er durch das Projekt erhalten hat.
«Jetzt melke ich unsere Ziege zweimal am Tag. Wir konsumieren die Milch täglich und meine Kinder lieben den Joghurt, den wir aus der Milch produzieren können», sagt Herr Nurdinov Jeenbek. © DEZA / IFOAM – Organics International

Nurdinov Jeenbek und seine Familie leben im Seyit-Kazy Dorf in der Region Bazar-Korgon in Kirgistan auf über 1200 Meter über Meer. Als Teil des «Nutrition in Mountain Agro-Ecosystems»-Projektes erhielt Herr Jeenbek 2016 eine Ziege. «Davor konnten wir uns nicht jeden Tag Milchprodukte leisten. Nur selten haben wir von den Nachbarn Kuhmilch abgekauft». Durch das «Nutrition in Mountain Agro- Ecosystems»-Projekt hat Herr Jeenbek von den Vorteilen der Ziegenmilch für die Ernährung seiner Kinder erfahren. «Jetzt melke ich unsere Ziege zweimal am Tag. Wir konsumieren die Milch täglich und meine Kinder lieben den Joghurt, den wir aus der Milch produzieren können». Ziegenmilch ist eine wichtige Quelle von Vitamin A und B sowie von Kalzium und Eisen. Dieses Nahrungsmittel kann deswegen der Unterernährung in ländlichen Gebieten von Kirgistan effektiv entgegenwirken, und vor allem die Gesundheit von Kindern verbessern.

Welternährungstag: gesunde und nachhaltige Ernährung

Der Welternährungstag 2019 fordert relevante Akteure dazu auf, gesunde und nachhaltige Ernährung für alle zugänglich zu machen. Die Herausforderungen der Bergvölker auf dieser Welt, sich gesund und ausreichend zu ernähren sind in jedem Fall gross. Das «Nutrition in Mountain-Agro-Ecosystems»-Projekt zeigt einen vielversprechenden Ansatz auf, um durch kleine Veränderungen bedeutende Auswirkungen hervorzurufen.

Jeder einzelne Mensch kann etwas bewirken

Vor allem bei Kindern ist es wichtig, Mangelernährung vorzubeugen: eine mangelnde Vitamin- und Mineralstoffzufuhr in der frühen Kindheit beeinträchtigt die physische und geistige Entwicklung von Kindern und kann bis in die nächste Generation Folgen haben.

Doch neben dem Zugang zu einer ausgewogenen Ernährung, ist es genau so wichtig, dass Menschen über die Vorteile einer gesunden und ausgewogenen Ernährung Bescheid wissen. Kulturelle Gewohnheiten können dabei eine grosse Rolle spielen. Aus diesem Grund beinhaltet das «Nutrition in Mountain Agro-Ecosystems»-Projekt eine Dialogkomponente, um im direkten Austausch darüber aufzuklären und mit den Familien wie jener von Nurdinov Jeenbek Lösungen zu identifizieren.

Deswegen arbeitet das «Nutrition in Mountain Agro-Ecosystems»-Projekt mit sogenannten «Rural service providers» - ländliche Dienstleister zusammen. Dies sind lokale Einwohnerinnen und Einwohner, die mit den Bevölkerungen in Kontakt treten und über eine ausgewogene Ernährung informieren. Sie identifizieren und setzen dann Lösungen um, die im örtlichen Kontext relevant sind und strukturelle Probleme angehen wie z.B. saisonal stark variierende Preise und Verfügbarkeit von Früchten und Gemüse.

Solares Trocknungssystem garantiert Obst und Gemüse während des ganzen Jahrs

Alisher Yuldashev ist einer der Rural Service Provider. Ihn hat ein Paradox in seiner Heimatregion Alu-Buka in Kirgistan zum Denken angeregt: Einerseits leiden Frauen in der Region generell an Fehlernährung, vor allem im Winter, wenn Obst und Gemüse weniger oder nur teuer verfügbar ist. Auf der anderen Seite beobachtete er auf dem örtlichen Markt immer wieder, wie Lebensmittel weggeworfen wurden, da die Bauern keine Abnehmer finden und das Obst und Gemüse verderben. Daraus entstand die Idee von solaren Trocknungsanlagen für Obst und Gemüse: Das, was nicht verkauft wird, wird mit Hilfe des Sonnenlichts getrocknet und für den Winter konserviert, in welchem es eine wichtige Nahrungsquelle darstellt. Innerhalb von einem viertägigen Training im Rahmen des «Nutrition in Mountain Agro-Ecosystems»-Projekt haben die Teilnehmenden 20 Trockner gebaut, die sie jetzt in ihren Dörfern verwenden um keine Lebensmittel zu verschwenden.

Viele Lösungen haben das Potential, repliziert und an einem anderen Ort verwendet zu werden. Zu diesem Zweck tauschen sich die Rural Service Provider in fünf Sprachen auf einer digitalen Plattform regelmässig aus. Die globale, digitale Vernetzung dieser Rural Service Providers ermöglicht ihnen wertvolle soziale Kontakte und wichtigen Erfahrungsaustausch. So entsteht in der Summe soziales Kapital, das zu bedeutenden Veränderungen auf regionaler Ebene beitragen kann. 

Ein positiver Effekt auf die Ernährung von Frauen

Mit diesem erfolgreichen Ansatz hat das von der DEZA initiierte «Nutrition in Mountain Agro-Ecosystems»-Projekt es geschafft, in einer ersten Phase in fünf Ländern mit über 130 anderen Lösungen die Ernährungsgewohnheiten zu verbessern: in Äthiopien, Pakistan und Peru wurde nachgewiesen, dass Frauen jetzt mindestens fünf von zehn Nahrungsgruppen regelmässig konsumieren, was ein Zeichen für eine ausgewogenere Ernährung ist. Vor allem essen sie mehr Obst, Gemüse und Fisch, und sie nehmen mehr an den Einkaufsentscheidungen teil. Der Fokus auf Frauen ist intuitiv: sie sind es, die normalerweise bei Nahrungsmittelknappheit am Kürzesten treten, und in der Schwangerschaft ist eine ausgewogene Ernährung unerlässlich für die Gesundheit des Kindes.

Von lokalen zu globalen Veränderungen

Können diese Mikrointerventionen wirklich global etwas bewegen? Barbara Zilly, Projektleiterin des «Nutrition in Mountain Agro-Ecosystems»-Projekts von IFOAM – Organics International, sieht grosses Potential: «Dieses Projekt ist am wirkungsvollsten, wenn wir es schaffen, diese lokalen, praktischen Lösungen mit Diskussionen auf nationaler und internationaler Ebene zu verbinden». Die Resultate des Projektes werden jetzt dafür benutzt, um Regierungen und internationale Organisationen dazu zu bewegen, ernährungs-sensitive Herangehensweisen in Gesetzen und Interventionen zu verankern. Die DEZA unterstützt dieses Projekt nun in einer zweiten Phase, und trägt mit ihrem Wissen zu globaler Ernährungssicherheit und der Erfüllung der Agenda 2030 bei.

Die Agenda 2030

Die Agenda 2030 mit den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) wurde 2015 von allen Staats- und Regierungschefs der Welt in der UNO verabschiedet. Sie gilt als gemeinsamer Rahmen für die nationalen und internationalen Bemühungen zur Lösung der globalen Herausforderungen der Welt wie extreme Armut, Klimawandel, Gesundheitskrisen oder Hunger.