Die internationale Gemeinschaft steckt in Genf den Rahmen für die humanitäre Hilfe der Zukunft ab

Artikel, 13.10.2015

Nach einem langen Konsultationsprozess findet sich die internationale Gemeinschaft vom 14. bis 16. Oktober 2015 in Genf ein, um die Grundsätze des künftigen humanitären Engagements zu vereinbaren. Die Erörterungen dienen als Grundlage für den Weltgipfel für humanitäre Hilfe, der im Mai 2016 in Istanbul stattfindet. Die Opfer von Katastrophen und Konflikten in den Mittelpunkt aller humanitären Massnahmen zu stellen, hat oberste Priorität.

Anhand einer Schautafel berät sich ein Experte der DEZA in Sri Lanka mit etwa 50 Dorfbewohnern, um die notwendigen Wiederaufbaumassnahmen festzulegen.
Den Opfern von Katastrophen und Konflikten eine zentrale Rolle einzuräumen (wie beim Wiederaufbauprogramm der DEZA in Sri Lanka), ist ein absolutes Muss – darin sind sich alle humanitären Akteure einig. © DEZA

Vom 14. bis 16. Oktober 2015 empfängt Genf mehr als 500 Vertreterinnen und Vertreter von Regierungen, internationalen humanitären Organisationen und der Zivilgesellschaft zu einem abschliessenden Austausch über die Überlegungen, die am Weltgipfel für humanitäre Hilfe im Mai 2016 in Istanbul vorgestellt werden sollen. Der Genfer Gipfel bietet Gelegenheit, die Grundzüge der humanitären Hilfe von morgen darzulegen.

Die internationale Konferenz bildet den Abschluss der regionalen und thematischen Konsultationen, die 2014 und 2015 in 151 Ländern stattfanden. Dem Gipfel kommt nach der Verabschiedung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung besondere Bedeutung zu.

Massiver Anstieg des Hilfe- und Schutzbedarfs

Warum soll die humanitäre Hilfe reformiert werden? Die Problemstellung ist bekannt: Aufgrund der in aller Welt wachsenden Zahl und zunehmenden Dauer humanitärer Krisen ist der Hilfe- und Schutzbedarf enorm angestiegen. Die Gefahren werden vielfältiger (bewaffnete Konflikte, Klimawandel, Epidemien usw.) und nehmen immer globalere Ausmasse an. Schätzungsweise 80 Millionen Menschen sind derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter 60 Millionen Vertriebene, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Heimat verlassen mussten.

Vor diesem Hintergrund rief UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon zur Formulierung einer neuen Agenda für humanitäre Hilfe auf. Er beauftragte das UNO-Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) damit, im Vorfeld des Weltgipfels für humanitäre Hilfe in Istanbul innovative Ideen zusammenzustellen. Daraufhin wurde in der bislang weltweit grössten Debatte über die Modalitäten der humanitären Hilfe diskutiert: Insgesamt 23 000 Mitglieder von Regierungen, internationalen Organisationen, NGOs und lokalen Gemeinschaften tauschten ihre Ansichten aus, und auch die Öffentlichkeit hatte die Möglichkeit, via Internet Stellung zu nehmen.

Fünf Handlungsfelder

Letztlich wurden Tausende sehr konkrete wie auch sehr grundlegende Vorschläge zusammengetragen. Alle Vorschläge wurden fünf vorrangigen Handlungsfeldern zugeordnet, die bei der Zusammenkunft in Genf jeweils in speziellen Workshops erörtert werden.

  • Würde: Die Würde der von einer Katastrophe oder einem Konflikt betroffenen Menschen garantieren, indem sie in den Mittelpunkt der humanitären Hilfe gestellt werden.
  • Sicherheit: Den Schutz der Konfliktopfer und der humanitären Helfer durch die strikte Achtung des humanitären Völkerrechts und die Suche nach politischen Lösungen gewährleisten.
  • Widerstandsfähigkeit: Die Fähigkeit der Bevölkerung zur Bewältigung von Krisen maximieren, indem längerfristig angelegte Projekte zugunsten der Entwicklung, der Konfliktprävention und der Katastrophenvorsorge in die humanitäre Hilfe integriert werden.
  • Partnerschaften: Bessere Synergien zwischen den Akteuren, darunter den lokalen Gemeinschaften, hinsichtlich der Grundwerte des humanitären Engagements (Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit) erzielen.
  • Finanzierung: Die Quellen zur Finanzierung des wachsenden humanitären Bedarfs diversifizieren und auf eine höhere Effizienz beim Mitteleinsatz hinwirken.

Die Schweiz trägt diese Prioritäten uneingeschränkt mit. Nachdem sie den Konsultationsprozess finanziell und technisch unterstützt hat, wird ihr nun die Ehre zuteil, gemeinsam mit dem OCHA den Vorsitz bei den Erörterungen in Genf zu führen.

Bundesrat Didier Burkhalter und Manuel Bessler, Leiter der schweizerischen Humanitären Hilfe, werden bei dieser Gelegenheit eine Reihe positiver Erfahrungen ansprechen, die die Schweiz in den vergangenen Jahren gewonnen hat. Denkbare Beispiele sind die Barzahlungsprogramme (so genannte Cash-Programme) der DEZA, die Unterstützung für Frauenverbände in aller Welt oder auch die im Rahmen der Nansen-Initiative eingeleitete Debatte über Menschen, die infolge von Naturkatastrophen und Klimawandel aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

Den Opfern bei der Überwindung der Folgen helfen

Bei den von ihr geförderten Projekten und ihrer anwaltschaftlichen Arbeit pocht die Schweiz auf die zentrale Rolle, die den von einer humanitären Krise betroffenen Menschen zukommt. Dieser Ansatz beinhaltet, dass den betreffenden Bevölkerungsgruppen Verantwortung für ihre Rehabilitation übertragen, aber auch garantiert wird, dass sie wirtschaftliche Perspektiven und eine angemessene Unterkunft haben.

In Sri Lanka erhielten mehr als 15 000 Familien finanzielle Unterstützung, mit der diese Opfer des Tsunamis und des Bürgerkriegs ihre Häuser ihren Bedürfnissen entsprechend reparieren oder wiederaufbauen konnten.

Neue Häuser im Norden Sri Lankas für die vom Konflikt betroffene Bevölkerung

Drei Säulen für die Zukunft

Im Libanon zahlte die DEZA im Zeitraum 2012-2014 mehr als 2800 libanesischen Familien monatlich zwischen 100 und 150 US-Dollar, um ihnen die Aufnahme syrischer Flüchtlinge zu ermöglichen.

Bargeldhilfe für Gastfamilien syrischer Flüchtlinge im Libanon

In Darfur (Sudan) trägt die DEZA zur Wiederbelebung der Bienenzucht – eines traditionellen Wirtschaftszweigs in der Region – bei, um den vertriebenen Bevölkerungsgruppen Einkommensmöglichkeiten zu verschaffen.

In verschiedenen Ländern (Region der Grossen Seen, Südsudan, Myanmar usw.) leistet die DEZA Unterstützung für NGOs, die weiblichen Opfern sexueller Gewalt bei ihren Schritten zur medizinischen, psychosozialen und juristischen Rehabilitation zur Seite stehen.

Nach dreijähriger Arbeit wurde im Rahmen der Nansen-Initiative, die unter dem gemeinsamen Vorsitz der Schweiz und Norwegens steht, eine «Agenda für den Schutz von international Vertriebenen infolge von Katastrophen und Klimawandel» aufgestellt. Das Dokument enthält eine Reihe konkreter Empfehlungen zur Bewältigung grenzüberschreitender Fluchtbewegungen, rechtliche Instrumente zum Schutz dieser Vertriebenen sowie Massnahmen der Katastrophenvorsorge zur Verringerung von Migrationsströmen.

Katastrophen: Wie werden die Vertriebenen geschützt?