Stefan Bumbacher, wer sind die Begünstigten der von Ihnen entwickelten Barzahlungsprogramme?
In erster Linie sind es durch den Krieg vertriebene Personen und andere schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen. Ich arbeite z. B. an einem spezifischen Projekt für 8000 schwangere Frauen und stillende Mütter in den Städten Homs und Latakia. Sie erhalten Essenscoupons, mit denen sie bei vom WFP akkreditierten Händlern Obst, Gemüse, Fleisch und Milchprodukte kaufen können. Ziel ist, die gesunde Entwicklung der Neugeborenen in den ersten Monaten nach ihrer Geburt zu gewährleisten.
Welche Änderung bedeutet grundsätzlich die Lebensmittelhilfe in Form von Coupons aus der Sicht der Begünstigten?
Dank den Coupons können sie die Produkte und Marken ihrer Wahl kaufen. Dieses System kommt auch den lokalen Händlern zugute: Sie können Arbeitsplätze erhalten oder sogar schaffen. Vereinfacht gesagt tragen die Barzahlungsprogramme in Syrien trotz der anhaltenden Krise zum Schutz von «Lebensinseln» bei.
Wie ist es überhaupt möglich, in einem derart volatilen und konfliktreichen Kontext wie Syrien Geldüberweisungen einzusetzen?
Die Situation in Syrien bleibt global sehr instabil, das stimmt. Es gibt nur begrenzte Möglichkeiten, um Barzahlungsprogramme einzuführen. Zudem ist es – wie für die gesamte humanitäre Hilfe in Syrien – schwierig, alle notleidenden Personen zu erreichen. Momentan können wir z.B. nur in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Coupons verteilen.
Allerdings gibt es in Syrien nicht nur Ruinen und Chaos. Die Altstadt von Homs ist zwar völlig zerstört, aber andere Stadtteile sind intakt, Läden und Supermärkte sind geöffnet und funktionieren. Hier finden wir die grundlegenden Elemente für die Entwicklung unserer Projekte.
Wie gehen Sie vor, um den Wert Ihrer Coupons an die Marktpreise anzupassen?
Das ist eine zentrale Frage. Der starke Wertverlust der Lokalwährung und die steigenden Lebensmittelpreise sind eine grosse Herausforderung. Die Mehlpreise haben in einem Jahr um über die Hälfte zugenommen, die Reispreise haben sich praktisch verdoppelt. Das WFP prüft die Marktpreise laufend, und wir passen den Wert der Coupons entsprechend an.
Im Übrigen wissen wir, dass die Abgabe von Coupons die Nachfrage nach den betreffenden Produkten erhöht. Vor der Lancierung eines Barzahlungsprogrammes stellen wir deshalb sicher, dass die lokalen Fabriken über genügend Rohstoffe für die Produktion der Lebensmittel verfügen oder dass die Läden am Ende der Kette genügend Warenvorräte haben, weil sonst die Preise steigen.
Fördert das WFP in Syrien andere Barzahlungsprogramme als nur die Coupons?
Nein. Im heutigen Kontext sind Coupons die beste Option. Das Bankensystem funktioniert nicht und die Telekommunikationsinfrastrukturen sind beschädigt. Deshalb können wir keine komplexeren Mittel einsetzen. Wir hatten uns vorgestellt, auf Bargeldtransfers auf Debitkarten oder über Mobiltelefone zu setzen, aber dies hat sich nicht bewährt.